Ich brülle, also habe ich recht? Ein aggressiver Ton ist in Konflikten kontraproduktiv. Foto: Fotolia

Ist der Alltag von Druck und Stress geprägt, überträgt sich das auch auf die Kommunikation. Wer unter Strom steht, ist im Gespräch nicht so einfühlsam und häufig aggressiver. Aber es gibt Ansätze, bewusster und gelassener zu reagieren.

Stuttgart - Im dritten Satz kippt die Stimme. Der Ton wird erst hektisch und dann schrill, und auf einmal scheint sich die Anspannung auf alle, die mit um den Konferenztisch sitzen, zu übertragen. „Wie kann es sein, dass Sie noch immer nicht geliefert haben?“, fragt der Chef in die Runde. Vielleicht hat er schlecht geschlafen, vielleicht bekommt er selbst gerade viel Druck aus der höheren Etage. Die Situation jedenfalls kennen wohl viele Menschen, und egal ob Vorgesetzte, Kollegen oder der eigene Partner, die Partnerin: Ist der Tonfall aggressiv, werden Vorwürfe persönlich, ist das für kein Gespräch, für keine Konfliktlösung förderlich.

„Viele Menschen leiden heute extrem unter Stress und Ängsten“, sagt Susanne Breuninger-Ballreich. „Wie im Hamsterrad.“ Sie leitet das Zentrum für Achtsamkeit Stuttgart und arbeitet als Coach und Psychotherapeutin. Und sie beobachtet, dass die Menschen sich selbst und anderen in der schnelllebigen Zeit heute immer weniger Aufmerksamkeit widmen. Dadurch sei unsere Kommunikation häufig gestört, sagt die Achtsamkeitstrainerin. Der Stress äußere sich über die Haltung und die Körpersprache. Der Ton werde rauer, gereizt, aggressiv. Das Einfühlungsvermögen leide. Und manch einer ziehe sich komplett zurück.

Doch es gibt Ansätze, die darauf abzielen, bewusster zu kommunizieren – und lösungsorientierter. Susanne Breuninger-Ballreich nennt das achtsame Kommunikation. „Dabei geht es darum, sich darüber bewusst zu werden, was man selbst will, wie man reagieren möchte und wie man gute Lösungen findet.“ Dahinter steckt die Annahme, dass man das eigene Bewusstsein trainieren kann – und so sich selbst und die eigene Ausdrucksweise besser zu steuern lernt. „Kommunikation läuft meist unbewusst ab. Wir reagieren wie automatisch auf einen Reiz, ohne uns vorher zu überlegen, ob das sinnvoll ist.“ Mit Achtsamkeit, so die Grundidee, schafft man Unterbrechungen im Gedanken- und Gefühlsstrudel, übt, Reize genau wahrzunehmen, sich selbst zu stoppen und erst dann zu reagieren.

Auf den eigenen Atem achten

Zum Beispiel wenn im Arbeitsalltag tausend Dinge auf einen einprasseln, der Vorgesetzte mit forderndem Ton nachfragt, warum ein Projekt noch immer nicht fertig sei – und man am liebsten in einem ähnlich gereizten Ton zurückschnappen würde. „Es gibt in jeder hitzigen Situation den Punkt, an dem ich mich entscheiden kann, ob ich mich wirklich in die Emotion hineinsteigern möchte“, sagt Susanne Breuninger-Ballreich. Dann helfe es, für einen Moment auf den Atem zu achten, in sich hinein zu fühlen, die eigenen Gedanken wahrzunehmen, ohne sie zu bewerten. Durch kurze Meditationsübungen lerne man mit der Zeit, besonnener auf Reize zu reagieren und einfühlsamer zu werden, sagt Susanne Breuninger-Ballreich.

Forscher haben festgestellt, dass sich durch regelmäßiges Achtsamkeitstraining bestimmte Hirnareale – besonders die Insula – verändern. Weit verbreitet als Behandlungsprogramm ist die sogenannte achtsamkeitsbasierte Stressreduktion, kurz MBSR. Solche Techniken, das zeigen zahlreiche Studien, können nicht nur Depressionen, Angstzustände und chronische Schmerzen lindern. In einem Experiment reagierten Teilnehmer nach entsprechendem Training gelassener auf Wutreden und Provokationen von Gegnern im Nahost-Konflikt.

Hier setzt auch das Konzept der empathischen oder gewaltfreien Kommunikation an, das einer Theorie des inzwischen verstorbenen US-amerikanischen Psychologen Marshall B. Rosenberg entspringt. Seit einigen Jahren erlebt das Modell aus den 1970er Jahren auch hierzulande neuen Auftrieb, gilt mitunter als einer der meistgenutzten Trainingsansätze. Annahme ist, dass Empathie die wesentliche Voraussetzung gelingender Kommunikation ist – und die meisten Konflikte darin beruhen, dass wir unsere Bedürfnisse falsch kommunizieren. Das Problem, so Rosenberg, sei unsere wertende und verurteilende Sprache. Und: Wer Konflikte lösen wolle, müsse nicht nur darauf achten, was er sage, sondern eben auch, wie.

Eigene Bedürfnisse klar formulieren

Mit der gewaltfreien Kommunikation beschäftigen sich mittlerweile mehr als eine Million Menschen in Deutschland. Grundidee ist, anderen im Gespräch keine Vorwürfe zu machen und keine Forderungen an sie zu stellen, sondern sich die eigenen Gefühle, Verantwortungen und Bedürfnisse bewusst zu machen – und sie klar zu formulieren. Statt die andere Person anzugreifen, gehe es darum, aktiv zuzuhören. Deshalb, befand Rosenberg, sei es neben dem Bewusstsein für eigene Bedürfnisse und Gefühle genauso wichtig, diejenigen der anderen Person wahrzunehmen und zu verstehen.

Auch Susanne Breuninger-Ballreich benutzt die Schritte der gewaltfreien Kommunikation in ihren Achtsamkeitstrainings: Wahrnehmen der Situation, Äußern der Gefühle, der Bedürfnisse, einer Bitte. „Letztlich geht es einfach darum, sich seiner selbst bewusster zu werden, die andere Person auf Augenhöhe zu sehen und dann konstruktiv eine Lösung für einen Konflikt zu finden.“

Immerhin habe das Thema inzwischen schon in vielen Unternehmen Einzug gehalten, sagt die Trainerin – zum Beispiel in Form von Workshops. Denn dass fehlendes Mitgefühl, mangelnde Wertschätzung und respektlose Kommunikation auch mit dazu beitragen, dass viele Arbeitnehmer krank würden, habe man in den Führungsetagen mittlerweile verstanden. Das Bedürfnis nach Veränderung, nach Entschleunigung sei spürbar, sagt Susanne Breuninger-Ballreich. „Viele Menschen leiden unter der jetzigen Situation, unter dem Leistungsdruck und dem Multitasking.“

Bewusster kommunizieren

STOP-Methode Eine bekannte Achtsamkeitsübung ist der Gedankenstopp. Die Methode dient dazu, einen destruktiven Gedankenstrudel zu unterbrechen, indem man sich zunächst die eigenen Gedanken ganz bewusst macht, ohne sie zu bewerten, und den Fokus dann ganz auf seinen Atem legt.

Gewaltfreie Kommunikation Die vier Schritte der GFK nach dem Psychologen Marshall B. Rosenberg kann man in folgendem Satz zusammenfassen: „Wenn ich das dreckige Geschirr sehe, dann fühle ich mich gestresst, weil ich Ordnung brauche. Deshalb möchte ich, dass wir einen Plan machen.“ Wichtig ist es demnach, eigene Beobachtungen, Gefühle, Bedürfnisse und Bitten klar zu formulieren, statt Vorwürfe zu machen und Forderungen zu stellen. Zentral ist dem Modell zufolge auch das empathische Zuhören. Es soll Wertschätzung vermitteln und konstruktive Konfliktlösungen ermöglichen.

Interviem mit dem Tübinger Rhetoriker Olaf Kramer

Olaf Kramer, Professor am Seminar für Rhetorik der Universität Tübingen, stellt eine Sprachverrohung fest – besonders bei Populisten. Es mangele an Empathie.

Herr Kramer, wie ist es um die Kommunikation in unserer Gesellschaft bestellt?
Ich sehe zurzeit zwei zentrale Entwicklungen. Zum einen drücken sich Politiker heute oft vorsichtiger, kontrollierter, ausweichender aus als beispielsweise noch zu Zeiten der Bonner Republik – wohl aus Angst vor einem Skandal. Zum anderen herrscht in den sozialen Medien und in der Sprache von Populisten ein sehr provokativer, aggressiver Ton vor. Da kann man schon eine Art Verrohung der Sprache feststellen.
Wie reden Populisten?
In der populistischen Kommunikation fehlt jede Form von Achtsamkeit, Empathie, Fairness und Vernunft. Da geht es nicht um sachliche Positionen oder machbare Lösungen, sondern darum zu provozieren und zu polarisieren – und so den eigenen Anhängern zu gefallen.
Was müsste anders laufen?
Auch oder gerade in großen, gesellschaftlichen Debatten ist es wichtig, verschiedene Positionen anzuerkennen. Auch mal den eigenen Blickwinkel zu verändern und sich in andere Menschen hineinzuversetzen. In der Wissenschaft, vor allem in der Psychologie, ist dabei die Rede von Konfliktlösung durch Perspektivwechsel. Was damit gemeint ist, lässt sich am Beispiel der Flüchtlingsdebatte zeigen. Würden wir hier auch mal den Blickwinkel ändern, müssten wir uns wohl eingestehen, dass viele Menschen sehr legitime Gründe haben hierherzukommen. Und würden feststellen, dass wir selbst in ihrer Situation vielleicht auch woanders unser Glück suchen würden.
Im Netz scheint es keine Höflichkeit zu geben, stattdessen eher Hass und Aggression.
Auf solchen Plattformen stehen vor allem die eigene Identität und das eigene Weltbild im Fokus. Nicht die Perspektive der anderen. Da trauen sich Menschen, Dinge zu sagen, die sie niemals so formulieren würden, wenn sie einander begegnen würden.
Bleiben solche Kommunikationsmuster auf den Plattformen im Internet?
Ich vermute, dass sich die online erprobten Kommunikationsformen auch an anderer Stelle etablieren könnten. Das Netz ist schließlich Teil unserer Lebensrealität geworden. Und dort bekommt man Bestätigung durch Eskalation. Sprache kann Konflikte auslösen und befeuern. Wieder bewusster zu kommunizieren ist daher sehr wichtig.