Für manche Abschleppfirmen sind Falschparker (Symbolbild) lukrativer als Pannenfahrzeuge Foto: Rothlehner Florian - stock.adobe.com

Zum ersten Mal steht ein Abschleppunternehmer unter Anklage – weil er mit vorgetäuschtem Auftrag vermeintliche Falschparker abschleppen ließ. Die dubiose Methode hat wohl System.

Stuttgart - Ganze 15 Monate lang hat die Staatsanwaltschaft ermittelt, hat die Ermittlungsgruppe Haken stapelweise Akten gelesen und Betroffene vernommen, nachdem unsere Zeitung dubiose Geschäfte eines Stuttgarter Abschleppunternehmens mit Sitz im Gewerbegebiet Fasanenhof aufgedeckt hatte. Nun hat die Ermittlungsbehörde das Ergebnis ihrer Nachforschungen bekannt gegeben: Die Staatsanwaltschaft erhebt Anklage gegen einen Geschäftsführer der Firma wegen Erpressung und gewerbsmäßigen Betrugs. Der Abschlepper hat nach Überzeugung der Ankläger vermeintliche Falschparker in eigener Regie an den Haken genommen und dann betrügerisch abkassiert.

„Das Falschparkgeschäft ist nun mal ein Geschäft“, hatte es ein Mitarbeiter der Abschleppfirma einst formuliert. Und offensichtlich hatte der 32-jährige Geschäftsführer, der vom Fasanenhof aus die Flotte steuerte, eine geradezu todsichere Einnahmequelle. Auf abends leeren Baustellenparkplätzen zwischen der Innenstadt und dem Nordbahnhofviertel ließ er Fremdparker an den Haken nehmen – angeblich im Auftrag der Geländeeigentümer und der Baufirmen. Die Opfer, meist mit schlechtem Gewissen und unter Druck gesetzt, lösten ihre Fahrzeuge mit 250 Euro wieder aus.

Die Polizei spielt unfreiwillig mit

Eine scheinbar perfekte Rückversicherung bot dabei sogar unfreiwillig die Polizei. Denn das nächstgelegene Polizeirevier Wolframstraße war über das Abschleppen informiert – doch die Beamten hatten nie eine Legitimation des angeblichen Auftraggebers überprüft. Mussten sie auch nicht, weil für das Abschleppen von privaten Stellplätzen die Polizei auch gar nicht zuständig ist.

Doch dann brach das dubiose Geschäftsmodell zusammen. Eine 52-jährige Autofahrerin, deren Wagen vom ehemaligen Opel-Staiger-Gelände an der Nordbahnhofstraße abgeschleppt wurde, blieb standhaft und bekam ihren Wagen wieder, nachdem sie den Abschleppauftrag vehement infrage gestellt hatte. Das Abschleppunternehmen entschuldigte sich für „ein Versehen“ – um dann aber wenige Tage später bei einem 41-Jährigen Fahrzeugbesitzer abzukassieren. Die Spitze eines Eisbergs? Unsere Zeitung forschte bei einem Nürtinger Bauunternehmer, beim städtischen Bauträger ELW und beim Siedlungswerk nach. Sie alle bezeugten: Der Abschlepper hatte von ihnen keinen Auftrag.

Die Zahl der Opfer wird immer größer

Nach der Berichterstattung unserer Zeitung im Januar 2018 über das dubiose System der Abschleppfirma wurden auch Polizei und Staatsanwaltschaft hellhörig – und gründeten eine Ermittlungsgruppe Haken. Es gab eine Razzia in den Geschäftsräumen im Gewerbegebiet Fasanenhof – und siehe da: Es gab weitere Opfer und weitere Tatorte. Auch auf dem Gelände der S-21-Baustelle im Bereich der Wolfram- und Londoner Straße hatten die Abschlepper offenbar widerrechtlich zugeschlagen. Die Bahn AG bestätigte auch gegenüber unserer Zeitung, der Firma keinerlei Auftrag erteilt zu haben.

Mit der Anklage zieht die Staatsanwaltschaft nun eine erschütternde Bilanz: „Aufgrund der Zwangslage sollen 57 Geschädigte die zu Unrecht geforderten Abschleppkosten bezahlt haben“, sagt der Sprecher der Staatsanwaltschaft, Heiner Römhild. Bei zwei weiteren Autofahrern sei der Versuch gescheitert – „aufgrund standhafter Weigerung“, so Römhild. Der Schaden der Abschlepp-Abzocke ist auf Heller und Pfennig berechnet und wird von der Anklagebehörde auf 14 459 Euro und 99 Cent beziffert. Dagegen hätte die Firma 785 Euro erstattet.

Ein zweiter Geschäftsführer ist aus dem Schneider

Als Tatzeitraum wird Januar 2017 bis Januar 2018 angegeben – bis zum Bericht unserer Zeitung und der anschließenden Razzia. Als Drahtzieher gilt der 32-jährige Geschäftsführer. Nach Erkenntnissen der Staatsanwaltschaft hatte er gegenüber seinen Mitarbeitern „bewusst wahrheitswidrig behauptet, für die Privatgelände entsprechende Aufträge zu haben“, so Römhild. So hatte es auch ein Fahrer unserer Zeitung berichtet: „Ich kriege den Überwachungsauftrag von meinem Chef“, hatte er zu Protokoll gegeben, „ich mache gutgläubig meine Arbeit.“

Ein zweiter Geschäftsführer der Firma, die noch Zweigstellen in Leinfelden-Echterdingen, Böblingen und Reutlingen unterhält, ist dagegen aus dem Schneider. Er sei für den Bereich nicht zuständig gewesen, heißt es. Sein Verfahren wurde eingestellt. Dem 32-jährigen Beschuldigten dagegen droht nun eine Haftstrafe. Das Strafmaß sieht für Betrug sechs Monate bis zehn Jahre vor, für Erpressung nicht unter einem Jahr bis 15 Jahre.