Handball-Trainern ist die taktische Variante und das leere Tor ein Dorn im Auge. Foto: imago images/Holsteinoffice//Jörg Lühn

An das Bild von leeren Handball-Toren haben sich die Zuschauer mittlerweile gewöhnt. Vielen internationalen Spitzentrainern ist die taktische Variante, den Torwart aus dem Spiel zu nehmen, jedoch ein Dorn im Auge. Sie fordern die Abschaffung der Regel.

Frankfurt/Main - Der Keeper soll nicht mehr aus dem Tor: Schon die Einführung der Sieben-gegen-Sechs-Regel kurz vor Olympia 2016 wurde von großer Skepsis im Welt-Handball begleitet. Vier Jahre danach regt sich nun offener Widerstand gegen das taktische Mittel, den Torwart jederzeit durch einen Feldspieler ersetzen zu können. In einer Umfrage des Fachmagazins „Handballwoche“ unter 38 internationalen Top-Trainern im Männer- und Frauenbereich votierte die große Mehrheit für die Abschaffung der Regel.

Zu den scharfen Kritikern gehören die Bundestrainer Alfred Gislason (Männer) und Henk Groener (Frauen). „Ich glaube nicht, dass der Handball attraktiver wurde. Im Gegenteil! Die Regel macht das Spiel viel langsamer“, sagte Gislason dem Blatt.

Der 60 Jahre alte Isländer muss es wissen, steht er doch seit mehr als 20 Jahren an der Seitenlinie. „Trainer verlieren besonders in der Abwehr ihre taktischen Varianten“, sagte Gislason, „und wenn sich nichts ändert, wird sich in zehn Jahren niemand mehr daran erinnern, wie Handball eigentlich gespielt wurde, nämlich Sechs gegen Sechs mit vielen unterschiedlichen Varianten in Abwehr und Angriff.“

Abwehrstarke Teams werden benachteiligt

Durch die Möglichkeit, den Torwart bei Ballbesitz aus dem Spiel zu nehmen und dafür einen Feldspieler zu bringen, werden vor allem abwehrstarke Teams wie Deutschland benachteiligt. Zwei-Minuten-Zeitstrafen bedeuten für die angreifende Mannschaft kaum noch einen Nachteil, weil sie die Unterzahl durch die taktische Maßnahme ausgleichen kann. Zudem haben einige Teams wie der EM-Sechste Portugal das Sieben-gegen-Sechs-Spiel mittlerweile perfektioniert und agieren im Angriff fast das gesamte Spiel über in Überzahl.

Wie Gislason macht sich auch Groener dafür stark, die Uhr im Handball-Regelwerk zurückzudrehen. „Je schneller man diese Regel abschafft, desto besser ist es!“, sagte Groener. „Die Räume wurden enger, das Spiel wurde langsamer. Und: Die Treffer ins leere Tor sind sehr unattraktiv für die Fans.“

Der 59 Jahre alte Handball-Fachmann, der die Niederlande in die Weltspitze führte und seit 2018 die DHB-Frauen betreut, sieht einen weiteren negativen Aspekt. „Noch gravierender sind die vielen Verletzungen von Torhütern, denn die sind bei der Rückkehr auf das Feld nur auf den Ball fixiert und versuchen mit allen Mitteln, ein Tor zu verhindern“, mahnte er.

Protest stößt auf offene Ohren

Zu den Unterstützern der Initiative gehören auch die Bundesligatrainer Filip Jicha vom Rekord-Champion THW Kiel und Maik Machulla vom Vizemeister SG Flensburg-Handewitt. Für eine Beibehaltung der Regel sprachen sich unter anderen Dänemarks Weltmeister-Coach Nikolaj Jacobsen und Kroatiens Coach Lino Cervar aus.

Beim Weltverband IHF stößt der Protest offenbar auf offene Ohren. „Wir werden uns die Argumente sehr intensiv anschauen“, sagte der Vorsitzende der IHF-Trainer- und Methoden-Kommission, Dietrich Späte. Nicht nur Groener hofft auf schnelle Einsicht der Regelhüter. Für den Frauen-Bundestrainer steht fest: „Wenn alle Mannschaften Sieben gegen Sechs spielen, werden weniger Zuschauer zum Handball kommen, weil andere Sportarten für sie dann attraktiver sind.“