Eine Afghanin in Kabul Foto: dpa

Aus Deutschland abgeschobene Afghanen finden in Kabul keine Zuflucht mehr in Unterkünften der Internationalen Organisation für Migration. Seit dem letzten Abschiebeflug erhalten sie nur noch eine Barzahlung und müssen sich selbst eine Bleibe suchen.

Berlin - Abschiebungen nach Afghanistan sind wegen der Sicherheitslage in dem Krisenland höchst umstritten. Nun sorgt eine Neuregelung für heftige Kritik: Bislang wurden die Abgeschobenen nach ihrer Ankunft in der afghanischen Hauptstadt Kabul von der Internationalen Organisation für Migration (IOM) betreut und konnten für bis zu 14 Tage in einer Unterkunft in Kabul unterkommen. Seit dem letzten Abschiebeflug aus Deutschland vom 24. April erhalten die Betroffenen jedoch nur noch eine Barzahlung in Höhe von umgerechnet 145 Euro und müssen sich selbst eine Bleibe suchen.

Das bestätigt das Bundesinnenministerium in einem unserer Zeitung vorliegenden Schreiben an die Grünen-Migrationsexpertin Luise Amtsberg. „Mit der Umstellung auf Auszahlung von Barmitteln soll sichergestellt werden, dass jedem Rückgeführten ausreichend finanzielle Mittel zur Verfügung stehen, um eigenverantwortlich eine Unterkunft und Transport zu organisieren“, heißt es in dem Brief von Staatssekretär Stephan Mayer (CSU) an die Bundestagsabgeordnete. Die Internationale Organisation für Migration stelle den Abgeschobenen aber auch „Informationen zu möglichen Unterkünften zur Verfügung, aus denen die Betroffenen dann selbständig auswählen können, wenn sie eine temporäre Unterkunft benötigen“.

Unterkünfte offenbar wenig genutzt

Abschiebungen nach Afghanistan seien ohnehin „inakzeptabel“, sagte Amtsberg unserer Zeitung. „Aber wenn die Bundesregierung trotz der miserablen Sicherheitslage im Land weiterhin an Abschiebungen nach Kabul festhält, dann müssen die Betroffenen wenigstens die Möglichkeit haben, in Kabul für die ersten Tage unterzukommen.“ Allem Anschein nach seien weder die abschiebenden Bundesländer, noch die Betroffenen über die Änderungen informiert worden.

Die Bundesregierung verweist darauf, dass die Betreuung der Abgeschobenen im Rahmen des von der Europäischen Union finanzierten Reintegrationsprogramms für Afghanistan RADA von der Internationalen Organisation für Migration übernommen werde. „Die Änderung der Unterbringungspraxis erfolgte in Abstimmung zwischen IOM und dem Europäischen Auswärtigen Dienst (EAD), da nach Auskunft des EAD eine lediglich geringe Anzahl von Rückgeführten die Unterbringungsmöglichkeiten von IOM nutzten“, heißt es in dem Schreiben.

Grüne: Bundesregierung wälzt Verantwortung ab

Amtsberg wirft der Bundesregierung vor, damit die Verantwortung für die geänderte Praxis abzuwälzen. „Dabei müsste sie dringend selbst Konsequenzen ziehen.“ Für die Grünen-Abgeordnete ist die Neuregelung ein weiterer Grund, die Rückführungen ganz einzustellen. Die „fehlende Unterstützung in Kabul muss zu einer veränderten Beurteilung von Abschiebungen nach Afghanistan insgesamt führen“.

„Viele der abgeschobenen Menschen waren vorher noch nie in Kabul oder sogar noch nie in Afghanistan“, sagte Amtsberg. „Die Sicherheitslage – insbesondere in Kabul – erlaubt es nicht, einfach in der Stadt herumzulaufen und sich selbst eine Unterkunft zu suchen.“ Nach UN-Angaben kamen allein in den ersten drei Monaten dieses Jahres in Afghanistan 581 Zivilisten durch Kampfhandlungen ums Leben, 1192 weitere wurden verletzt. Im gesamten vergangenen Jahr wurden mehr als 3800 Zivilisten Todesopfer der Auseinandersetzungen, darunter 927 Kinder.

Abschiebungen nach Afghanistan wieder seit 2016

Deutschland schiebt trotz der anhaltenden Gewalt seit Ende 2016 wieder abgelehnte Asylbewerber nach Afghanistan ab mit dem Argument, dass es auch sichere Landesteile gebe. Nach einer Verschlechterung der Sicherheitslage und einem Anschlag auf die deutsche Botschaft in Kabul wurden die Rückführungen im Sommer 2017 zwischenzeitlich auf Gefährder, Straftäter und sogenannte Identitätstäuscher beschränkt. Wer nun in die Abschiebeflieger gesetzt wird, entscheiden die Bundesländer. Nach einer Aufstellung der Organisation Pro Asyl wurden von 2016 bis Ende 2018 so 439 Menschen nach Afghanistan zurückgebracht.