Schaufenstereffekt: Nach der Währungsreform waren im Nu auch die Regale wieder gefüllt. Noch heute haben die Deutschen einen starken Bezug zu ihrer D-Mark, die der Euro ablöste. Foto: Ullstein

Vor 70 Jahren verschwand die Reichsmark. Für das Deutschland der Nachkriegszeit begann mit diesem Einschnitt eine ganz neue Ära, an die viele Deutsche gute Erinnerungen haben.

Frankfurt/Main - Ihre letzten Reichsmark hat Marlies Nöfer für ein paar Knöpfe ausgegeben. Daran erinnert sich die 86-Jährige genau. „Das alte Geld wäre ja sowieso nichts mehr wert gewesen“, sagt sie. Von den 40 Deutschen Mark, die am Sonntag, 20. Juni 1948 an alle Bewohner Westdeutschlands verteilt wurden, bekam die damals 16-Jährige aber zunächst einmal gar nichts – „das behielt meine Mutter“. Trotzdem hat Nöfer die Währungsreform als etwas Wunderbares in Erinnerung: „Auf einmal war alles da.“ Die zuvor leer gefegten Geschäfte füllten sich über Nacht mit Waren, auch die Schaufenster wurden wieder dekoriert. „Wir hatten zwar kaum Geld, aber das Gefühl, dass man überhaupt etwas hätte kaufen können, war völlig neu für mich.“

Für zehn Reichsmark auf dem Konto gab es nur eine Deutsche Mark

Dieses Phänomen ist unter dem Begriff „Schaufenstereffekt“ ins kollektive Gedächtnis eingegangen. Mit Blick auf die seit Langem erwartete Währungsreform hatten viele Unternehmen und Einzelhändler vor dem Tag X Waren gehortet, weil sie diese gegen die angezählte Reichsmark nicht mehr verkaufen wollten. Tatsächlich verloren Guthaben in der alten Währung nach der Reform fast ihren gesamten Wert: Für zehn Reichsmark auf dem Konto gab es nur eine Deutsche Mark, obendrein wurde die Hälfte aller Guthaben für einige Monate blockiert. Über den Umgang mit diesen „Festgeldkonten“ wurde erst im Herbst 1948 entschieden, letztlich ergab sich für größere Guthaben ein Umstellungsverhältnis von 100 zu 6,5.

Nicht nur die Enteignung der Sparer verdarb vielen Bürgern die Freude am neuen Geld, sondern auch ein scharfer Preisanstieg in den Monaten nach der Reform: Nachdem die von den Händlern gehorteten Waren einmal verkauft waren, überstieg die Nachfrage bald das Angebot. Schließlich waren im Krieg viele Produktionsstätten zerstört worden. Zudem hatte Ludwig Erhard, damals Verwaltungsdirektor für Wirtschaft der amerikanischen und britischen Besatzungszone, mit Einführung der D-Mark zahlreiche Preiskontrollen aufgehoben.

Massenproteste gegen einen kurzfristigen Preisschub

Für die Einführung einer funktionierenden Marktwirtschaft sei dieser Schritt unerlässlich gewesen, sagt der Frankfurter Wirtschaftsprofessor Rainer Klump: „Auf diese Weise erlangten die Preise wieder eine Signalfunktion, welche Güter am dringendsten benötigt und produziert werden mussten.“ Vorübergehend führte die Liberalisierung aber eben zu einem heftigen Preisschub. Es kam zu Massenprotesten, die im November 1948 in einem eintägigen Generalstreik gipfelten. Erhard reagierte unter anderem mit einer Aufhebung des von den Nationalsozialisten verfügten Lohnstopps und mit „Jedermann-Programmen“: Der Staat wies ausgewählten Firmen Rohstoffe zu, die Mangelware wie etwa Schuhe besonders schnell und günstig zu produzieren versprachen.

Zu Hilfe kam Erhard außerdem der Marshallplan. Die Milliardenhilfen aus den USA ermöglichten die Einfuhr von Rohstoffen, so dass die Produktion wieder anzog. Schon Ende 1948 ging die Inflation wieder zurück – auch weil die Bank deutscher Länder, die Vorgängerin der Bundesbank, einschritt. Damit setzte sie der Inflationspolitik der Reichsbank ein Ende, die von den Nazis zur Finanzierung des Krieges mit der Notenbankpresse missbraucht worden war.

Ein halbes Pfund Butter für einen Pullover

Wer wie Marlies Nöfer in einer beschaulichen Kleinstadt im Rheinland aufwuchs, bekam von den Protesten im Herbst 1948 ohnehin nicht viel mit. Für sie zählt bis heute der Vergleich mit der Zeit vor der Währungsreform, als es Essen und andere Waren des täglichen Bedarfs nur gegen Lebensmittelkarten und Bezugsscheine gab. „Selbst das funktionierte nur, wenn die Sachen überhaupt irgendwo angeboten wurden“, erinnert sie sich. Ihre Mutter sei manchmal in eine andere Stadt gefahren, nur um für ihre Lebensmittelkarten Margarine oder Butter zu kriegen. „Auf dem Schwarzmarkt kostete Butter 200 Mark. Mir hat einmal eine Frau ein halbes Pfund angeboten, damit ich einen Pullover stricke“ – die junge Marlies fand das damals ein gutes Geschäft.

Die Blütezeit der Tauschgeschäfte

Wie die 16-Jährige und ihre Mutter, die für die Beschaffung von Lebensmitteln für ihre insgesamt sechs Kinder regelmäßig aufs Land fuhr „und unsere Kommunionsgeschenke bei den Bauern gegen Essen einlöste“, wandten in der Nachkriegszeit viele Menschen eine Menge Energie für Tauschgeschäfte auf. Dies habe auch die Produktivität gedrückt, erläuterte der Wirtschaftshistoriker Christoph Buchheim 1988 in einem Aufsatz zum 40-Jahr-Jubiläum der Währungsreform. So hätten viele Industriearbeiter vor der Reform mit ihren Vorgesetzten vereinbart, statt der eigentlich vorgesehenen sechs nur fünf Tage pro Woche zu arbeiten: „Die vermehrte ‚Freizeit‘ verwendete man für die Beschaffung zusätzlicher, über die zugeteilten Rationen hinausgehender Nahrung.“

„Keine Währung, sondern ein schlechter Witz“

Nach der Einführung der D-Mark aber gab es für das in der Fabrik verdiente Geld endlich wieder etwas zu kaufen – was den Anreiz zu arbeiten und damit die Produktivität erhöhte. Auch auf diesem Weg trug die Währungsreform also zur Verbesserung der Wirtschaftslage bei. In der Folge legten auch die Exporte zu. Von einer „Initialzündung des Wirtschaftswunders“ spricht der Autor Michael Brackmann in seinem 1993 veröffentlichten Buch zur Vorgeschichte der Währungsreform.

Die Kombination aus Exporterfolgen und der konservativen Geldpolitik der Bundesbank machten die Deutsche Mark zu einer stabilen Währung – eine Entwicklung, die vor 70 Jahren alles andere als selbstverständlich erschien: Kollegen von der altehrwürdigen Bank of England hätten ihm damals gesagt, „die Deutsche Mark sei keine Währung, sondern ein schlechter Witz“, berichtete Jahrzehnte später Wilhelm Vocke, der 1948 Präsident des Direktoriums der Bank deutscher Länder war. Der frühere Bundeskanzler Helmut Kohl nannte die D-Mark 1998 „ein Symbol für 50 Jahre Frieden, Freiheit und Stabilität in Wohlstand“. Das war freilich schon ein Abschiedsgruß – 1999 wurde der Euro als Buchgeld eingeführt, drei Jahre später folgten Scheine und Münzen.