Das Grundgesetz ist die geltende Verfassung der Deutschen. Beschlossen wurde das Grundgesetz am 23. Mai 1949, einen Tag später trat es in Kraft Foto: dpa

Das Grundgesetz feiert in dieser Woche seinen 70. Geburtstag. Seine Zeit als Übergangsverfassung ist seit der deutschen Einheit vorbei. Eine Verfassungskrise gab es nie.

Berlin - Es heißt anders, es beginnt anders und es entstand anders als viele Verfassungen – aber nach 70 Jahren kann man sagen: dieses Grundgesetz hat sich bewährt .

Warum hat Deutschland eine Verfassung, die nicht so heißt? -

Die Verfassung der Bundesrepublik heißt Grundgesetz, bis heute gab es über sie kein Referendum. Mit dem Namen sollte deutlich gemacht werden, dass die Teilung Deutschlands nicht akzeptiert wird und es sich daher nur um ein Provisorium handelt, über das zu einem späteren Zeitpunkt, nämlich dann, wenn der Nationalstaat nicht mehr geteilt ist, auch das Staatsvolk abstimmt. In der Präambel wurde festgehalten, dass damit „dem staatlichen Leben für eine Übergangszeit eine neue Ordnung“, gegeben werden sollte. Weder die Deutschen in der Sowjetischen Besatzungszone noch die im Saarland waren eingeschlossen. Erarbeitet wurde dieses Grundgesetz als Grundlage für einen einheitlichen Weststaat, der aus den drei westlichen Besatzungszonen gebildet werden sollte. So hatten es die Westalliierten einem Verfassungskonvent aufgetragen. Es waren aber die Ministerpräsidenten der Länder, die Wert auf den provisorischen Charakter legten, der deutlich machte, dass die Bundesrepublik kein neuer Nationalstaat sei.

Was passierte bei der Wiedervereinigung?

Nach dem Fall der Mauer und mit der Absicht der Wiedervereinigung war das Grundgesetz im Prinzip in Frage gestellt – es wurde über zwei unterschiedliche Wege zur Einheit diskutiert. Der eine war die Neukonstituierung eines deutschen Nationalstaats, mit einer neuen, vom Volk verabschiedeten Verfassung. So war es im damaligen Artikel 146 des Grundgesetzes festgelegt. Damit hätte das Grundgesetz seine Gültigkeit verloren gehabt. Der andere Weg war der eines Beitritts: die deutsche Einheit sollte als Beitritt „anderer Teile Deutschlands“, der ostdeutschen Bundesländer in den Geltungsbereich des Grundgesetzes von statten gehen, wie wiederum im Artikel 23 Absatz 2 vorgesehen. Für diese zweite Variante stimmte die Volkskammer der DDR im August 1990. Das Grundgesetz ist seither die gesamtdeutsche Verfassung. Der Beitrittsartikel wurde gestrichen. Die Verfassung der DDR, die nur eine Woche nach Verkündung des Grundgesetzes in Kraft getreten war, ging mit dem Staat unter.

Warum wurde auf eine Befragung des wiedervereinigten Volkes verzichtet?

Der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl sprach von der Kontinuität der geltenden Verfassung als „Königsweg“. Oft wird rückblickend als Argument ins Feld geführt, dass die Wiedervereinigung habe schnell gehen müssen. Dem widersprach allerdings schon 1990 der damalige Innenminister Wolfgang Schäuble als Architekt der Einheit. Er halte das Grundgesetz für ein „Element der Vertrauensbildung, der Stabilität, sagte er in einem im Spiegel veröffentlichten Streitgespräch mit dem damaligen DDR-Außenminister Markus Meckel. Würde man nach Artikel146 verfahren, wisse niemand, wie der Prozess ausgehe. Schäuble argumentierte auch, die Mehrheit der Ostdeutschen wolle nach den Grundstrukturen von Demokratie und Freiheit leben, die sie von der Bundesrepublik kenne. Diese Einschätzung wurde von der politischen Wirklichkeit gestützt: Man konnte das Ergebnis der vorangegangenen Volkskammerwahl durchaus als Votum für das bestehende Grundgesetz werten. Ganz von den Wahlen abgesehen verließen immer mehr DDR-Bürger ihr Land Richtung Bundesrepublik.

Was ist das Besondere am Grundgesetz?

Das Grundgesetz entstand auf den Trümmern des Dritten Reichs, und mit der Bundesrepublik sollte sich ein Nachfolgestaat gründen, der nur eine Daseinsberechtigung hatte, wenn er alles in seiner Macht Stehende tun würde, damit von diesem Ort nie wieder ein solches Grauen ausgehen würde. Das merkt man diesem Grundgesetz schon an seinem ersten Artikel an: Dort ist die Menschenwürde als unantastbar festgehalten, es folgen der Grundsatz, wonach alle Menschen gleich sind und der der Meinungs- und Pressefreiheit. Auch das individuelle Grundrecht auf Asyl, das sich so in wenigen Verfassungen wiederfindet, ist eine Reaktion auf die Vernichtungspolitik der Nazis. Auch die Stellung des Staatsoberhauptes wurde im Grundgesetz deutlich geschwächt. Im Gegenzug wurde die Macht des Parlaments gestärkt – und vor allem die des vom Parlament gewählten Bundeskanzlers. Mit der Einführung des konstruktiven Misstrauensvotums wollten die Mütter und Väter des Grundgesetzes sichergehen, dass nur dann ein Regierungschef aus dem Amt gestürzt werden kann, wenn das Parlament zugleich einen neuen Bundeskanzler wählt.

Was ist eine Ewigkeitsgarantie?

Auch dieses Instrument ist eine Lehre aus der Vergangenheit. Geleitet von dem Ziel des „Nie wieder“ ersann der Parlamentarische Rat einen besonderen Bestandsschutz für die Artikel 1 bis 20 des Grundgesetzes, also die Grundprinzipien dieses Staates. Diese können nicht – auch nicht mit einer Zweidrittelmehrheit – verändert werden. In Artikel 79, Absatz 3 heißt es dazu: „Eine Änderung dieses Grundgesetzes, durch welche die Gliederung des Bundes in Länder, die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung oder die in den Artikel 1 und 20 niedergelegten Grundsätze berührt werden, sind unzulässig.“ Artikel 20 beschreibt den Staat als Demokratie und sozialen Bundes- und Rechtsstaat («die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

Was hat sich in den vergangenen 70 Jahren geändert?

Die wichtigste Änderung ist sicher, dass das Grundgesetz seit der deutschen Einigung seinen Charakter als Provisorium verloren hat und nun als Verfassung für das gesamte deutsche Volk gilt. Seit seinem Inkrafttreten ist das Gesetz 63 mal verändert worden. Zu den frühen Veränderungen gehörten die Einführung einer Sperrklausel über fünf Prozent im Wahlrecht, die im Jahr 1953 in Kraft gesetzt wurde. Wenig später wurde die Schaffung der Bundeswehr und die Einführung einer allgemeinen Wehrpflicht beschlossen. Zu den in der damaligen Großen Koalition von 1968 sehr umstrittenen Änderungen des Grundgesetzes gehören die Notstandsgesetze. Sie schränken für den jeweils festzustellenden Fall eines Ausnahmezustands, zum Beispiel eines Verteidigungsfalls, Grundrechte ein und machen eine vereinfachte Gesetzgebung möglich. Wer im Internet genau nachvollziehen will, wie sich die unterschiedlichen Fassungen unterscheiden, der kann das auf der Website des Open-Data-Projekt https://gg.docpatch.org/ tun.