Bei einem Angriff ist sich wehren die bessere Strategie, sagen Experten. In Kursen können Frauen wirksame Kniffe lernen, um sich in einer Gefahrensituation selbst zu helfen. Wir haben uns die wichtigsten Tipps und Lektionen in Sachen Selbstverteidigung von Profis zeigen und erklären lassen.

1. Gefahren meiden

Die beste Strategie gegen Überfälle ist, ihnen aus dem Weg zu gehen. „Man sollte sich auf sein Bauchgefühl verlassen“, sagt Uwe Rettstatt, der nicht nur die Selbstverteidigungsschule PSV in Weinstadt leitet, sondern auch jahrelang in der Security-Branche tätig war. „Wer sich verfolgt fühlt, sollte nach Auswegen Ausschau halten, die einen schnell unter Leute bringen.“ Auch die Experten der Opferschutzorganisation Weißer Ring raten Frauen zu einigen Vorkehrungen: „Informieren Sie einen Angehörigen oder Freund, wenn Sie alleine unterwegs sind oder sich mit einem Fremden verabreden.“ Man könnte dann ein Zeichen vereinbaren – etwa ein Anruf zu einer bestimmten Zeit. Auch sollte man sich nicht davor scheuen, andere Leute um Hilfe zu bitten, wenn man sich bedroht fühlt, so die Experten. „Machen Sie auf die Gefahrensituation aufmerksam!“

2. Keine Waffen

Ein Pfefferspray oder eine Schreckschusspistole in der Handtasche zu haben, gibt vielen ein gutes Gefühl. Doch diese Sicherheit ist trügerisch, warnt das Landeskriminalamt in Stuttgart. So befürchtet die Polizei, dass eine Situation eskaliert, wenn eine Waffe gezückt wird. Auch muss man den Umgang mit dem Spray üben, um ihn sicher einsetzen zu können. Etwas Gegenwind könne schon dazu führen, dass man selbst die reizende Ladung abbekommt. „Wer Pfefferspray in die Augen bekommen hat, muss sie mit viel klarem Wasser auswaschen“, sagt Thomas Reinhard, Ärztlicher Direktor der Klinik für Augenheilkunde am Uniklinikum Freiburg. „Die im Spray enthaltenen Substanzen greifen die Augenhornhaut und -bindehaut an und können zu Entzündungen führen.“ Pfeffersprays können in Deutschland ohne Altersbeschränkung gekauft werden, wenn sie die Aufschrift „nur zur Tierabwehr“ tragen. Sie sind nur zur Notwehr oder Nothilfe erlaubt. Wer ein Pfefferspray einsetzt, ohne in Gefahr gewesen zu sein, begeht eine gefährliche Körperverletzung.

3. Zur Wehr setzen

Noch in den 90er Jahren wurde Frauen geraten, nur nichts zu riskieren. Werde man angegriffen, so solle man dies lieber mit sich geschehen lassen. Inzwischen haben Untersuchungen längst gezeigt, dass Schlagen und Schreien in 70 Prozent der Überfälle eine Vergewaltigung verhindern konnten. Experten der Opferhilfe Weißer Ring raten dazu, in Gefahrensituationen stets laut zu schreien und den Übergriff genau zu benennen – etwa: „Lassen Sie meinen Arm los!“ Wichtig ist auch, sich mit Händen, Füßen oder mit Alltagsgegenständen wie dem Regenschirm oder dem Schlüsselbund zur Wehr zu setzen. „Schlagen Sie mit den Händen gezielt zum Gesicht und treten Sie mit den Füßen gegen Schienbein oder Knie des Angreifers!“, heißt es beim Weißen Ring. Noch besser ist es, gezielt Griffe und Techniken einzuüben, die einem bei der Selbstverteidigung helfen. „Frauen müssen sich im Ernstfall wehren können – und zwar so, dass es richtig wehtut“, sagt auch Uwe Rettstatt, Leiter der Selbstverteidigungsschule PSV in Weinstadt. Dabei gilt: sich schnell der Gefahrensituation zu entziehen.

4. Selbstbewusst sein

„Oft wird unterschätzt, dass es eines kontinuierlichen Trainingsbedarf, damit es einer Frau gelingt, sich gegen – generell körperlich stärkere – Männer zur Wehr zu setzen“, warnen die Experten des Weißen Rings. Auch der Selbstverteidigungstrainer Uwe Rettstatt rät zu Kursen, die mindestens sechs Monate dauern.

Wer das nächste Mal an einem Schaufenster vorbeiläuft, sollte sein Spiegelbild in Augenschein nehmen und sich fragen: Wie laufe ich eigentlich? Denn ob Frauen überfallen werden, hängt unter anderem auch von der Körperhaltung ab: Einem Täter ist es wichtig, ohne großes Aufsehen handeln zu können. Er sucht sich ein geeignetes Opfer aus, mit dem er seiner Meinung nach leichtes Spiel haben wird, sagen Experten der Polizei und verweisen auf die Ratschläge vom Weißen Ring: „Zeigen Sie Selbstbewusstsein, Kopf hoch, Brust raus!“ Wichtig dabei ist, stets aufmerksam zu sein, um schon auf kleinste Unstimmigkeiten schnell reagieren zu können – etwa um früh die Straßenseite zu wechseln, wenn man an einer Gruppe Betrunkener vorbeilaufen muss. Genauso selbstsicher wie die Körperhaltung sollte auch die Stimme sein: „Sagen Sie dem Angreifer, dass er weggehen soll, und siezen Sie ihn – das signalisiert anderen, dass Sie den Täter nicht kennen.“

5. Hilfe holen

Oft wird Frauen geraten, wenn sie attackiert werden statt „Hilfe“ laut „Feuer“ zu rufen, damit ihnen eher Menschen zu Hilfe eilen. Doch Studien, wie gut diese Anweisung tatsächlich hilft, gibt es nicht. Besser ist es daher, Menschen, die sich in der Nähe aufhalten, direkt anzusprechen – und dabei Aufträge zu erteilen. Etwa: „Sie in der roten Jacke, rufen Sie die Polizei!“ Vorsorglich sollte jeder sich die Notfallnummer ins Handy einspeichern, raten die Experten des Weißen Rings, um schnell Hilfe zu ordern. Lieber kommen die Beamten zweimal umsonst als einmal zu spät.

6. Sich nicht ansprechen lassen

In manchen Fällen versuchen Täter schon früh mit dem Opfer in Kontakt zu treten – auf der Straße, in einer Kneipe oder im Park. In manchen Fällen spricht der Täter sein Opfer vor der Tat an und fragt zum Beispiel nach der Uhrzeit, nach dem Weg oder Kleingeld, warnen die Experten der Polizeilichen Kriminalprävention der Länder und des Bundes. „Daher sollte man sich in solchen Situationen mit Unbekannten nicht auf ein Gespräch einlassen.“

7. Anzeige erstatten

Viele Frauen, die Opfer von sexueller Belästigung geworden sind, erstatten keine Anzeige. „Meistens ist Scham der Grund“, sagt Rainer Bruckert vom Weißen Ring. „Viele Opfer denken aber auch, sie werden selbst damit fertig.“ Eine weitere Hürde ist aber auch, dass viele Frauen glauben, eine Anzeige bringe nichts. Doch Experten wie Bruckert raten dennoch dazu, zur Polizei zu gehen. Denn eine Anzeige sei auch Prävention: So könne man einen Täter aus dem Verkehr ziehen. Das hängt allerdings davon ab, ob das Opfer eine detaillierte Beschreibung vom Täter abgeben kann – damit er auch gefasst werden kann. Oft gibt es aber auch Zeugen.

Beratung für Opfer

Der Weiße Ring bietet Opfern krimineller Gewalt Beratungen an – sowohl persönliche als auch beim Umgang mit Behörden und Justiz: www.weisser-ring.de. Es gibt auch eine Telefon-Hotline: 116 006.