Polizeipräsident Franz Lutz kündigt ein Großaufgebot der Polizei in der Silvesternacht an Foto: Lichtgut/Julian Rettig

Nach dem Anschlag in Berlin verschärft die Stuttgarter Polizei ihren Schutz des Weihnachtsmarktes. Zudem kündigt Polizeipräsident Franz Lutz nach den Vorfällen im Vorjahr umfangreiche Maßnahmen in der Silvesternacht an.

Stuttgart. Herr Lutz, der Anschlag in Berlin hat viele Menschen verunsichert. Wie reagiert die Polizei in Stuttgart darauf? -
Wir müssen, das sei zunächst explizit gesagt, trotz der Verunsicherung, die der Anschlag bei den Menschen auslöst, alle miteinander besonnen bleiben. Angst, hektische Forderungen oder Kopflosigkeit waren noch nie gute Ratgeber. Für die letzten Tage des Weihnachtsmarkts nehmen wir jetzt Anpassungen vor, ebenso an Silvester. -
Was passiert genau?
Unsere Präsenz am Weihnachtsmarkt ist in diesem Jahr stärker und wir haben sie seit Montag weiter erhöht, denn die Lage hat sich mit dem Berliner Anschlag einfach verändert und der Wunsch nach einem Mehr an Sicherheit in der Bevölkerung ist spürbar. Obwohl wir auch schon bisher nach unserer Einsatzkonzeption bei einem ähnlichen Szenario hätten eingreifen können, haben wir uns entschieden, unsere Präsenz insbesondere an den Zugängen und Zufahrten zum Gelände zu verstärken. Dort sind zur Unterstützung unserer Schutzmaßnahmen Barrieren aufgebaut worden und unsere Polizeibeamten an den Präsenzpunkten tragen die Maschinenpistole sichtbar am Mann.
Gibt es Erkenntnisse, dass der Stuttgarter Weihnachtsmarkt gefährdet ist? Und wie sieht es mit Silvester aus? Da gab es im Vorjahr reihenweise Übergriffe auf Frauen.
Nein, wir haben keine konkreten Hinweise, weder für den Weihnachtsmarkt noch für Silvester. Wir werden aber nach Weihnachten auch über die sozialen Medien in mehreren Sprachen noch einmal unser Konzept für Silvester erklären. Das spricht sich herum. Wer irgendetwas vor hat, muss wissen, dass es nicht klappen wird.
Der vergangene Jahreswechsel hat die Polizei nicht nur in Köln, sondern auch in Stuttgart völlig überrascht. Wie konnte das passieren?
Wir hatten in jener Silvesternacht eine völlig neue Lage, die es so zuvor in Deutschland noch nicht gegeben hatte. Gruppen von zehn bis 30 Männern haben Frauen teilweise massiv bedrängt. In einem Fall wurde versucht, eine Frau wegzutragen, um sie sexuell zu nötigen. Allein in der Klettpassage hatten sich bis zu 300 Nordafrikaner gesammelt, deren Anwesenheit das Sicherheitsgefühl der Menschen beeinträchtigte. Nichts hat vorher auf diese Entwicklung hingedeutet.
Wie lautet aus heutiger Sicht die Bilanz?
Es wurden Geldbeutel, Handys und Handtaschen geraubt, Kleidung zerrissen, Frauen massiv belästigt. Bis Neujahr lagen trotzdem nur zwei Anzeigen vor. Erst nach der Berichterstattung auch über die Vorfälle in Köln haben sich immer mehr Opfer gemeldet. Inzwischen zählen wir 114 Geschädigte, 42 Taschendiebstähle, 17 Mal Raub und 28 Fälle von sexueller Nötigung. Wir haben 23 Beschuldigte ermittelt. Alle diese haben Migrationshintergrund. Unseres Wissens nach gab es bisher fünf Verurteilungen auch mit Haftstrafen, ein Beschuldigter hat sich offenbar in den Irak abgesetzt. Die Täter waren aus dem ganzen Land angereist, von Südbaden bis nach Hohenlohe.
Was bedeutet das für dieses Jahr?

Wir bekommen immer wieder Fragen von Frauen, die wissen wollen, ob sie sich an Silvester nach Stuttgart trauen können. Die Antwort lautet eindeutig ja. Wir haben schon unmittelbar nach den Vorfällen reagiert und bei Großveranstaltungen wie an Fasching oder beim Christopher-Street-Day Präsenz gezeigt. Und es ist seither nichts Vergleichbares mehr passiert. Dementsprechend werden wir uns auch für die Silvesternacht so aufstellen, dass wir vorbereitet sind. Wir wollen dafür sorgen, dass die Bürger friedlich und möglichst unbelastet das neue Jahr begrüßen können und gleichzeitig mögliche Täter von vornherein abschrecken.

Was heißt das konkret?
Wir werden statt 60 bis 70 Beamte wie im vergangenen Jahr diesmal 500 zusätzliche Polizisten in der Innenstadt haben. Dazu kommt eine große Zahl von Zivilbeamten, die sich überall verteilen und Gruppen auch gezielt ansprechen sollen. Sie sollen mögliche Probleme erkennen und im Keim ersticken. Die Reviere werden voll besetzt sein, unsere mobilen Einheiten stehen parat, überall im Stadtgebiet eingreifen zu können. Das ist ein hoher Kräfteeinsatz, den wir aber für notwendig erachten.
Was ist noch geplant?
Wir haben genau ausgewertet, wo im vergangenen Jahr Brennpunkte gewesen sind. Dort werden wir besonders präsent sein und arbeiten dabei eng mit dem Vollzugsdienst der Stadt, der Branddirektion, dem Technischen Hilfswerk, der Bundespolizei und dem Deutschen Roten Kreuz zusammen. Wir wollen so wenig dunkle Ecken haben wie möglich. Deshalb werden wir den Schlossplatz selbst und Teile des Schlossgartens mit Scheinwerfern ausleuchten. Zudem haben wir die City-Initiative angeschrieben mit der Bitte, dass möglichst viele Geschäfte ihre Beleuchtung anlassen. Wir werden zudem auf dem Schlossplatz eine feste Videoüberwachung haben und auch sonst mobil mit Video arbeiten. Zudem wird es neben den üblichen Anlaufstellen auf dem Schlossplatz und im Innenhof des Neuen Schlosses zwei mobile Wachen der Polizei für Bürger geben. Auch im Polizeiposten in der Klett-Passage sowie im Hauptbahnhof.
Ist dieser Großeinsatz allein mit der tatsächlichen Lage begründet oder spielt die Diskussion bei Bürgern und Medien eine Rolle?
Der öffentliche Druck ist zweifellos da, aber er ist nicht unsere Motivation. Wir halten diesen Einsatz für notwendig, weil wir sagen: So etwas wie im Vorjahr darf nie mehr passieren. Wir werden alles dafür tun, das ist unser Selbstverständnis als Polizei.
Aus den Vorkommnissen im Vorjahr hat sich auch die neue Sicherheitskonzeption für die Innenstadt entwickelt. Dort ist seit Januar mehr Polizei präsent. Gibt es eine Bilanz?

Uns geht es bei der Konzeption nicht nur um die Bekämpfung von Straftaten, sondern auch um das Sicherheitsgefühl der Bürger. Da bekommen wir viele positive, teils geradezu euphorische Rückmeldungen. Die Leute gutieren, dass die Polizei wieder präsenter ist, sie haben Vertrauen in ihre Polizei. Die hohe Kontrolldichte wirkt sich zudem bei Bettlern und Drogenhändlern aus. Wir werden wohl in diesem Jahr eine so hohe Zahl an aufgedeckten Rauschgiftdelikten verzeichnen wie noch nie zuvor.

Bei den Tätern an Silvester hat es sich vorwiegend um Flüchtlinge gehandelt. Viele Polizeibeamte beklagen die zunehmende Zahl von zugereisten Intensivtätern. Wie ist die Lage in Stuttgart?
In den vielen Flüchtlingsunterkünften haben wir insgesamt nur zwei bis drei Vorfälle pro Tag. Das ist auch dem Konzept der Stadt geschuldet, möglichst kleine Unterkünfte zu nutzen, die Ethnien zu mischen und möglichst überall Familien dabei zu haben. Allerdings haben wir Intensivtäter. Wenn man jedes Jahr 50 gambische Drogendealer aufgreift und feststellt, dass in deren Heimat immer wieder Bekannte oder Verwandte angeworben werden, dann besteht der Verdacht, dass manche nur zum Begehen von Straftaten herkommen. Natürlich erleben wir hin und wieder Enttäuschungen, wenn es uns nicht gelingt, einen Tatverdächtigen in Haft zu bekommen und uns dieser am nächsten Tag wieder grinsend auf der Königstraße begegnet. Wir schöpfen jedenfalls die uns zur Verfügung stehenden rechtlichen Möglichkeiten konsequent aus.
Auch an Silvester?
Natürlich. Wir wollen, dass alle gemeinsam fröhlich und friedlich feiern können. Wenn wir das schaffen, sind wir mit dem Einsatz zufrieden.