Hans-Jürgen Westphal lebt seit zehn Jahren im Christoph-Ulrich-Hahn-Haus in Stuttgart-Freiberg. Seine Leidenschaft dort ist die Gartenarbeit. Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Das Christoph-Ulrich-Hahn-Haus in Stuttgart-Freiberg feiert sein 50. Jubiläum. In dem Heim für Wohnungslose lebten seit 1968 rund 5000 Menschen. Hans-Jürgen Westphal ist einer von ihnen.

Stuttgart - Das Leben hat Hans-Jürgen Westphal schon an viele unterschiedliche Orte der Welt geführt. Geboren 1953 in Brandenburg, ist er als Mechaniker für Motoren auf Montage beinahe einmal quer um den Erdball gereist. Die erste Station war Birma, darauf folgten Südkorea, Indien, Russland, England, Schweden, Spanien, Tschechien und andere europäische Länder. Nur wenige Menschen sehen auf ihrem Weg so viel von der Welt wie Westphal. Dass ein weit gereister Mensch aber die gleichen Probleme und Schwierigkeiten meistern muss wie einer, der sein kleines Heimatdorf nicht mal für den Jahresurlaub verlässt, hat Westphal am eigenen Leib erfahren.

Christoph-Ulrich-Hahn-Haus in Stuttgart-Freiberg

Sein aktuelles Zuhause ist das Christoph-Ulrich-Hahn-Haus (CUHH) in Stuttgart-Freiberg, ein Heim für Wohnungslose, hier lebt er seit zehn Jahren. In dem Wohnheim finden 64 wohnungslose Personen Platz, davon entfallen zehn Plätze auf die hauseigene Krankenpflegestation. Seit Eröffnung der Station 1996 haben auch Frauen die Möglichkeit in dem Heim für Wohnungslose unterzukommen, davor war die Einrichtung ausschließlich Männern vorbehalten. Die Aufgaben der Sozialarbeiter dort reichen von Schuldnerberatung bis hin zu Hilfsangeboten bei Sucht und psychischer Erkrankung. „Mit meiner Scheidung kam der Suff, die Wohnungslosigkeit und am Ende die Straße“, erinnert sich Westphal an den entscheidenden Einschnitt in seinem Leben. Seine Frau hatte ihn noch bei seinem ersten Alkoholentzug begleitet. Auf dem Trockendeck, wie Westphal es selbst beschreibt, hielt er es aber nicht lange aus. „Ich habe viele Entzüge hinter mir, gebracht hat es nichts“, resümiert der hagere Mann mit den dunkelbraunen Augen.

Harte Jahre auf der Straße

Auf den Verlust seiner Wohnung folgten harte Jahre auf der Straße, die meisten davon in Esslingen. „Mein Platz war in der Schlachthausstraße in der Nähe des Bahnhofes. In der Tiefgarage unter dem Wienerwald haben meine Kumpel und ich immer geschlafen. Einen Hund hatten wir auch dabei, der hat nachts immer auf uns aufgepasst“, erzählt Westphal. Neben der Sozialhilfe lebte Westphal vor allem von Spenden und verdiente sich mit Hilfsarbeiten ein kleines Taschengeld dazu. „In der Nachbarschaft gab es Griechen, die hatten einen Lebensmittelladen. Dort haben wir manchmal etwas zu essen bekommen. Oder wir haben mitgeholfen, und dafür gab es dann ein paar Mark“, erinnert sich Westphal.

In der Schlachthausstraße Ecke Fleischmannstraße in Esslingen befindet sich auch heute noch eine Einrichtung der Evangelischen Gesellschaft (Eva). Dort lernte Westphal die Sozialarbeiterin Monika Wüstner kennen. Sie wird ihn schließlich aus seinem Leben auf der Straße befreien. „Ich bin ihr unendlich dankbar, sie war meine Rettung“, Westphals Augen beginnen zu leuchten, als er an diesen Moment zurückdenkt. „Herr Westphal kam anfangs immer in unsere Beratungsstunde. Ich habe ihn dann zwischenzeitlich in einer betreuten Wohngemeinschaft in Esslingen untergebracht. Von dort kam er nach Stuttgart“, erinnert sich Wüstner. Anschließend besorgte sie Hans-Jürgen Westphal den Platz im CUHH, das im Juli sein 50. Jubiläum feiert.

Chronisch von Suchtmitteln abhängig

Seit Anfang 2001 sind 20 der 64 Wohnheimplätze des CUHH für Chronisch Mehrfachgeschädigte Abhängigkeitskranke (CMA) vorgesehen. Diese Menschen sind chronisch von Suchtmitteln abhängig und haben dadurch schwere körperliche und oft auch psychische Probleme. Im Jahr 2017 lebten im CMA-Bereich 27 Personen, inklusive Auszügen. Davon waren 14 durchgehend abstinent, fünf von ihnen wurden dreimal oder häufiger rückfällig.

„Das wichtigste für diese Menschen ist eine geregelte Tagesstruktur und eine dauerhafte Betreuung“, weiß Hartmut Klemm, der Leiter des CUHH. Die sozialen Kompetenzen sind bei dieser Art von Erkrankung häufig weitgehend verloren und die Fähigkeiten, das eigenen Leben selbstständig und eigenverantwortlich zu führen, sind stark eingeschränkt. „Die tagesstrukturierende Beschäftigung, die wir unseren Bewohnern bieten reicht von praktischen Arbeiten mit Holz und Ton in den Werkstätten, über Arbeiten in Haus und Garten, bis hin zur Versorgung von Tieren in unserem Kleintiergehege“, so Klemm.

Die Liebe zur Natur

Im CUHH ist seitdem die Gartenarbeit Hans-Jürgen Westphals Leidenschaft. In zwei Beeten zieht er Tomaten, Zucchini und andere Gemüsesorten. Besonders stolz ist er auf sein Kürbisbeet. „Letztes Jahr hatten wir einen Kürbis mit über 80 Kilo, ein richtiger Brummer“, freut sich Westphal über den Erfolg seiner Zucht. Die Natur beruhigt den heute 65-Jährigen. „Ich bin sehr gerne draußen und mache viele Wanderungen in meiner Freizeit.“ Dabei führen ihn seine ausgedehnten Routen bis auf die Filderebene, dort zieht er jedoch seine persönliche Grenze. „Esslingen ist für mich Sperrgebiet“, sagt Westphal mit voller Überzeugung. Zu viele schlechte Erinnerungen an seine schwerste Zeit, die kampftrinkenden Kumpel, mit denen er unzählige Flaschen Schnaps leerte. Einige von ihnen liegen auf dem St.-Bernhardt-Friedhof in Esslingen, die letzte Ruhestätte der Stadt für Obdachlose. Westphal erzählt: „Ein Freund starb an Rückenmarkkrebs, ein anderer setzte sich den Goldenen Schuss. Die meisten haben sich aber zu Tode gesoffen.“

Die gleichen Wünsche

In all den Jahren blieb Westphal von ernsten Erkrankungen aufgrund seiner Alkoholsucht verschont. „Ich hatte nur eine Nierenentzündung. Mit den Bandscheiben habe ich auch Probleme, das liegt aber an der Gartenarbeit“, sagt Westphal und lacht. Für die Zukunft wünsche er sich vor allem Gesundheit und ein friedliches Leben, sagt der Bewohner des CUHH nach kurzer Bedenkzeit. Diesen Wunsch haben wohl Weitgereiste und Daheimgebliebene gleichermaßen gemein.