Real-Ikone Sergio Ramos hat eine eigene Theorie für die Schlappe. Foto: AFP

Es sollte alles besser werden bei den Königlichen. Die Spanier haben nach der desolaten Vorsaison viel Geld in den Neuanfang gesteckt – bisher ohne erkennbaren Erfolg.

Madrid - Nach solchen Spielen gibt es natürlich immer viele Witze. Warum manche Fans von Real Madrid im Footballstadion von New York auch beim Spielstand von 0:6 noch ihre Fähnchen schwenkten (sie taten das wirklich)? Weil sie dachten, zum Ausgleich fehle bloß ein Touchdown. Oder: Warum im Hochsommer der Immobilienmarkt im edlen Madrider Norden angekurbelt wurde? Weil José Mourinho schon nach einer Villa für seine bevorstehende Rückkehr sucht.

Nur für die heimischen Fans von Real war nichts lustig in einer Nacht, die in den Madrider Medien unisono als historisch eingestuft wurde. 3:7 (0:5) unterlag der königliche Verein seinem Lokalrivalen Atlético beim Champions-Cup in der amerikanischen Welthauptstadt. Unverzeihlich, wie die „Influencer“ der Real-Familie mit desolaten Einblicken illustrierten. Der bekannteste Kolumnist schrieb in der Zeitung „As“ von der „schlimmsten Demütigung“ seiner knapp 50 Jahre als Real-Fan. Derweil sich der Moderator des populärsten Fußballtalks vor der New Yorker Freiheitsstatue aufbaute und gegen eine andere Ikone lederte – die auf Reals Trainerbank: „Entweder Zidane versteht Madrid nicht, oder er kann kein Spanisch.“

Erst gefeiert – bald gefeuert?

So überraschend es klingen mag: Nicht mal ein halbes Jahr, nachdem er als Messias zurück begrüßt wurde, steht Zinédine Zidane tatsächlich im Mittelpunkt des Fanzorns. Perplex verfolgen die Anhänger, wie er der versprochenen Erneuerung mit einer Konterrevolution begegnet: Er setzt einfach wieder auf dieselben Spieler, die ihm zwar zwischen 2016 und 2018 die Champions League gewannen, vorige Saison aber früh alle Titelchancen vergaben und en passant das Stadion leer spielten. Garniert, und das erregt die Kritiker besonders, wird die Reise zurück in die Zukunft von einer altbekannten Mischung aus Hilflosigkeit und Überheblichkeit, auf wie neben dem Platz: „Für uns war es ein Freundschaftsspiel, für sie etwas ganz anderes“, begründeten Zidane und Kapitän Sergio Ramos die Derby-Schlappe unisono. Angesichts des Schocks in der Heimat klang das wie die Botschaft aus einer Parallelwelt. Als ob sie immer noch nicht begriffen hätten, dass Rehabilitation und Aufbruchssignale erwartet werden.

Bevor von morgen an beim Audi-Cup in München die nächsten Stolpersteine warten, konnten sich die einstigen Helden in der vereinsnahen Sportzeitung „Marca“ über ihren gesunkenen Kredit informieren. Bei einer Umfrage mit mehr als 200 000 Stimmabgaben verteilten die Leser die Schuld an der neuen, alten Krise zu jeweils einem Drittel an Zidane, die Spieler und die Kaderplaner. Zwei Drittel halten Zidane nicht mehr für den idealen Trainer. Von den Helden des Champions-League-Tripels würde das Fanvolk die Mehrheit – darunter Toni Kroos oder Weltfußballer Luka Modric – sofort verkaufen. Gleichzeitig finden 80 Prozent, dass sich der Verein trotz der größten Investition der Clubgeschichte (gut 300 Millionen Euro) nicht gut verstärkt hat.

„Material für China“ sieht die Madrider Zeitung „ABC“ in etlichen Angestellten. Fürs Erste soll freilich nur Gareth Bale ins Fußball-Rentnerparadies verhökert werden. Bei Zidane ist er in Ungnade gefallen, doch sein möglicher Abgang hat sich zur Seifenoper ausgewachsen, er zieht sich weiter hin. Die fußballerisch größten Probleme herrschen derweil im Mittelfeld, wo es mit dem Brasilianer Casemiro nur einen Abräumer gibt. Wegen verlängerten Urlaubs nach der Copa América fehlte er bisher noch, sein USA-Ersatz Kroos demonstrierte wieder einmal, dass dieser Posten nicht (mehr) seiner ist.

Jovic steht bisher im Abseits

Zidane möchte unbedingt Paul Pogba verpflichten, der sicher den nötigen Schub bringen könnte, bisher jedoch auch nie mit defensiver Disziplin aufgefallen wäre. Im Angriff hat sich unterdessen Marco Asensio das Kreuzband gerissen und stellt der aus Frankfurt gekommene Luka Jovic bislang wie erwartet keine Gefahr für Zidanes Liebling Karim Benzema dar. Die Probleme in allen Mannschaftsteilen komplettiert Torwart Thibaut Courtois, der mit dem Mund („Es ist klar, wer die Nummer 1 ist“) mehr zu bieten hat als mit den Händen. Gegen Atlético fing er sich fünf Tore ein, ehe er seinem Rivalen Keylor Navas wich.

Nichts jedoch musste die Real-Fans am Wochenende so deprimieren wie der Blick auf ihren Stadtrivalen mit dem vierfachen Torschützen Diego Costa und Rekordeinkauf João Félix. Stand jetzt hält er Real die Erkenntnis vor Augen: Ein Umbruch ist möglich. Man muss ihn nur wagen.