Frühlingshafte Nacht auf dem Marktplatz: nach vielen eiskalten Nächten fühlen sich knapp acht Grad warm an. Foto: factum/Weise

24 Stunden Ludwigsburg – in einer 24-teiligen Serie erzählen wir, wie die Ludwigsburger und die Gäste der Stadt leben und arbeiten. Zwischen 23 Uhr und Mitternacht ist auf dem Marktplatz selbst unter der Woche noch einiges los: Studenten feiern eine private Miniparty, fast zwei Dutzend Nachtschwärmer trinken und schwätzen im Irish Pub. Es ist der letzte Teil der Serie.

Ludwigsburg - Diese Nacht unter freiem Himmel auf dem Ludwigsburger Marktplatz fühlt sich ein bisschen an wie Frühling – nach den eiskalten Tagen der vergangenen Wochen sind knapp acht Grad Lufttemperatur vergleichsweise viel. Das haben sich die beiden Gestalten, die gegen 23 Uhr dort beim Brunnen stehen, vermutlich auch gedacht.

Christian Kaufmann, 24 Jahre, aus Bonn, und Linda Krauss, 23 Jahre, aus Heilbronn, plaudern angeregt, schon seit gut einer halben Stunde. Flankiert von den zwei imposanten, von Scheinwerfern beleuchteten Kirchen stehen die beiden im schummrigen Licht. Gelegentlich nippen die Nachtschwärmer am Flaschenbier, „Wallerstein Export“. Draußen trinken sei eben „billiger als in einer Kneipe“, erklärt Christian Kaufmann, grinst breit und erzählt, dass er und seine Begleiterin durchgedreht hätten. Wie bitte?

Zehn „durchgedrehte“ Tage

Die beiden jungen Leute sind Studenten der Filmakademie. Und sie haben während der vergangenen zehn Tage sieben Kurzfilme gedreht, quasi Tag und Nacht gearbeitet. Draußen trinken, das sei auch deshalb besser, „weil wir in den Kneipen immer Kollegen treffen“, andere Studenten der Akademie. Kaufmann und Krauss wollen aber in dieser Nacht lieber ihre Ruhe haben – nach zehn „durchgedrehten“ Tagen verständlich. Dann indes ist Schluss mit der trauten Zweisamkeit zu vorgerückter Stunde. Zwei Mitstudenten schlendern über den Platz, quatschen ein paar Minuten mit den beiden und gehen dann heim in ihre Wohngemeinschaft.

Christian Kaufmann ist ein aufmerksamer Zeitgenosse. Er hat beobachtet, dass zu dieser nachtschlafenden Zeit „konstant etwa fünf Personen“ auf dem Marktplatz sind. Die meisten laufen schnell von A nach B. Niemand harrt so lange aus, wie die beiden, die seit Oktober 2016 Animationsfilm studieren. Plötzlich saust ein Auto über den Marktplatz, der eigentlich für Kraftfahrzeuge gesperrt ist. Neulich, sagt Christian Kaufmann, „bin ich hier nachts fast überfahren worden“. Er ist regelmäßig bei Dunkelheit auf dem Marktplatz, von dem es heißt, der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder habe vor vielen Jahren während einer Stippvisite in Ludwigsburg erklärt: dieser Marktplatz sei der schönste im Land.

Ludwigsburg, sagen die zwei Studenten hingegen, sei ihnen ein bisschen zu provinziell. Er hat vorher in Berlin Design studiert, sie in Köln Betriebswirtschaft. In Ludwigsburg habe man schnell „alles gesehen“, sagt sie. Ludwigsburg sei eine „seltsame Stadt“, sagt er, manches passe nicht zusammen.

Was für ein Vorwurf, würde manch ein Ludwigsburger echauffiert bemerken. Also ein Beispiel, bitteschön. Die pittoreske Marktplatzkulisse und die Kriminalität beim Bahnhof, antwortet Christian Kaufmann trocken. Stuttgart, erklärt Linda Krauss, sei viel cooler, „weil man nicht ständig jemandem über den Weg läuft, den man kennt“. In Ludwigsburg sei es zudem super schwierig als Student eine bezahlbare Wohnung zu finden. Er habe zunächst in einem Einzimmer-Appartement gewohnt, für 650 Euro im Monat. Mittlerweile ist Kaufmann in ein Dachzimmer gezogen und bezahlt dafür 400 Euro.

Das Gotteshaus ist nachts verschlossen

23.30 Uhr: ein Rundgang einmal um den Marktplatz, immer unter den Arkaden durch. Die katholische Kirche: an der Tür steht zwar „Schalter rechts drücken“, aber nichts passiert. Das Gotteshaus ist verschlossen. Die Wunderbar: auch längst dicht. Im Gebäude Marktplatz 5/1 residiert das Konsulat Ecuadors. Nebenan ein Schriftzug auf einem Schaufenster: „Die erste Apotheke am Platz, seit 1721“.

Im Restaurant La Signora Moro sitzen noch vier Gäste. Rufus Wörn erzählt, dass er bald Feierabend macht. Der Restaurantfachmann wohnt in Stuttgart und arbeitet seit sechs Jahren im Moro, der Pizzeria, deren Sitzplätze im Freien während der warmen Jahreszeit oft im Nu alle belegt sind.

Ein Ire – glücklich in Ludwigsburg

Ein Taxi rollt über den Marktplatz. Eine Handvoll Männer marschiert vorbei an der geschlossenen L 1 Lounge Bar und am ebenfalls nicht geöffneten Café Bar-On. Vor dem Irish Pub stehen ein paar Raucher, drinnen singt Kurt Cobain aus den Lautsprecherboxen, der 1994 unter nicht vollends geklärten Umständen gestorbene Frontman der US-Rockband Nirvana. Cobain wäre in diesem Monat 50 Jahre alt geworden. Hinter dem Tresen steht Christian Neutelings, ein waschechter Ire, Cobains Generation. Der 49-jährige Barmann erzählt, dass er an der irischen Ostküste aufgewachsen ist. Später habe er unter anderem in Saint-Tropez, in der Karibik und auf einem Kreuzfahrschiff gelebt und gearbeitet. Seit zehn Jahren ist er in Ludwigsburg und betreibt den Pub am Marktplatz.

Ist Ludwigsburg ein Abstieg, nach Stationen in Südfrankreich und im Karibischen Meer? Nein, sagt Mr. Neutelings in nahezu akzentfreiem Deutsch. Im Schwabenland ist der Mann der Liebe wegen gelandet. Mit seiner Frau und den zwei kleinen Töchtern wohnt er in Markgröningen. Er vermisse fast nichts, „nur das Meer“. Der Pub laufe super, „wir hatten während der zehn Jahre nur einen Tag geschlossen“.

Wenige Minuten vor Mitternacht sitzen knapp zwei Dutzend Gäste an den Tischen. Drei Männer erzählen, dass der Pub ihre Stammkneipe sei. Alle drei sind Kollegen, sie arbeiten auf der Karlshöhe in der Behindertenhilfe. An diesem Abend ist das Trio gegen 22 Uhr im Pub aufgeschlagen, einer der Kumpels hat bis 21.30 Uhr arbeiten müssen. Wie lange sie noch bleiben? Was für eine blöde Frage. „Bis wir rausgeschmissen werden“, sagt einer. Der Pub macht gegen 0.30 Uhr zu.

Bis Mitternacht bei der Kochschule gearbeitet

Unterdessen haben sich die zwei Studenten vom Brunnen zurückgezogen. Linda Krauss und Christian Kaufmann hocken zur Geisterstunde direkt neben der Kirche auf dem Boden, trinken Bier, plaudern. Der Beginn einer wunderbaren Freundschaft? Schräg gegenüber verlässt eine Frau das Gebäude mit der Hausnummer 4. Sie komme von der Arbeit bei der Kochschule Lange und fahre jetzt nach Hause. Sagt’s und schwingt sich auf ihr Fahrrad.

Ein junger Mann, seine Freundin und deren Hund verlassen das Moro. Er erzählt, dass er als Barkeeper in der Blauen Agave in Ludwigsburg arbeitet, an diesem Tag aber frei gehabt habe. „Jetzt gehen wir noch in die Schwarz-Weiß-Bar“, sagt er zu seiner Begleiterin. Die Bar in den Katakomben der Stadt ist nur ein paar Schritte entfernt und hat noch bis 2 Uhr geöffnet.