Birgit Seifreid will den Kindern „ohne viele Worte die Welt beibringen“. In der freien Natur seien die Kinder friedlicher – und lernten diese zu schätzen. Foto: factum/Simon Granville

Matschhose und Gummistiefel sind im Naturkindergarten Sonnenwirbel Pflicht. Denn hier sind die Kinder die gesamte Zeit über in der freien Natur, pflegen Tiere oder kümmern sich um Streuobstwiesen.

Korntal-Münchingen - Dass der Naturkindergarten in Korntal-Münchingen Sonnenwirbel heißt, kommt nicht von ungefähr. Sonnenwirbel sei der schwäbische Begriff für Löwenzahn, erklärt Birgit Seifried, die Gründerin des ungewöhnlichen Konzepts. „Der Name für den Kindergarten kam mir sozusagen im Garten entgegengeflogen.“ Die Pflanze habe tiefe Wurzeln, ein goldenes Herz und Leichtigkeit, das passe zu ihrem Kindergarten und dessen Besuchern. „Außerdem bin auch ich im Schwäbischen tief verwurzelt“, sagt die gebürtige Münchingerin.

In der Einrichtung, in der Seifried seid 15 Jahren Kinder betreut, sind die Zwei- bis Siebenjährigen den ganzen Tag an der frischen Luft, umgeben von 13 Schafen, zwei Eseln, zwei Schweinen, zwei Gänsen und zehn Hühnern. Dafür stehen ihnen ein Gartengelände und rund zwei Hektar Streuobstwiesen am Hühnerberg in Münchingen zur Verfügung.

Wenn es draußen einmal ungemütlich werden sollte, gibt es zwei beheizte Bauwagen und ein Backhaus, in dem sich Kinder und Erzieher aufwärmen können. Und wer auf Toilette muss, darf sich auf einem Kompost-Klo in einem weiteren Bauwagen erleichtern. „Das wird dann später als Dünger für die Landwirtschaft und unsere Streuobstbäume genutzt“, sagt Seifried.

„Die Leute haben mich damals für verrückt erklärt“

Die 65-Jährige hat lange in einem Waldorfkindergarten gearbeitet, bevor sie beschloss, ihr eigenes Projekt umzusetzen. „Ich habe gemerkt, dass Kinder viel ruhiger sind und sich weniger streiten, wenn sie in der Natur sind“, sagt Seifried. Das liege auch daran, dass sie im Freien stärker aufeinander angewiesen seien. „Einen Legostein können sie alleine aufheben, aber einen größeren Ast nicht“, sagt die Erzieherin. Auch der Wunsch, Kindern die Natur näher zu bringen, sie einfach einmal spielen und Kind sein zu lassen, habe sie dazu bewogen, einen Kindergarten nach ihren eigenen Vorstellungen aufzubauen.

„Die Leute haben mich damals für verrückt erklärt“, sagt sie. „Es hieß, die Kinder würden hier nichts lernen und nur im Dreck spielen.“ Mit zunächst zwei Kindern ist Seifried 2004 das Projekt trotzdem angegangen, nun betreut sie 22 Sprösslinge. Die Zahl der Kinder auf der Warteliste und die Naturkindergärten, die es inzwischen vielerorts gibt, geben Seifried Recht. Auch eine Auszeichnung des Landes, der Naturschutzpreis, den der Kindergarten Anfang des Jahres für die Erhaltung der Streuobstwiese bekommen hat, bestätigt sie. „Der Preis ist eine schöne Ehre für das, was wir gemacht haben“, sagt Seifried. „Damit findet auch die Natur Beachtung.“

Gebastelt wird mit Stöcken und Steinen

Birgit Seifried ist es wichtig, den Kindern eine vertraute Umgebung mit Utensilien zu bieten, mit denen auch die Erzieher selbst arbeiten. „Wir vermitteln den Kindern hier viel Natur und ein bisschen Kultur“, beschreibt sie ihr besonderes Konzept. Das heißt, dass die Kinder mit Seifried auch mal Kuchen backen und sich an Geburtstagen an einen festlich geschmückten Tisch setzen.

Ansonsten gehört zum Kindergartenalltag der Jüngsten Hof kehren, sich um die Tiere kümmern, Steine sammeln, Spazieren gehen und sich in der Natur beschäftigen. Aus den geernteten Äpfeln auf der Streuobstwiese machen die Kinder Dörrobst, mit gesammelten Stöcken und Steinen wird gebastelt. „Der Nachhaltigkeitsgedanke schwingt immer mit. Teile aus Plastik gibt es bei uns nicht“, sagt Seifried in ihrer ruhigen Art.

Ans Aufhören denkt die 65-Jährige nicht

Neben Seifried arbeitet ihr Sohn Benjamin als Erzieher in dem Kindergarten mit. Zwei Hilfskräfte und ein Jugendlicher des Freiwilligen Sozialen Dienstes machen das Team komplett. Außerdem helfen Seifrieds Töchter, die beide Lehrerinnen sind, ehrenamtlich in dem Kindergarten aus.

Auch wenn die Warteliste auf Jahre voll ist: Mehr als 22 Kinder möchte Seifried nicht aufnehmen. „Das würde die Kinder überfordern“, sagt sie. Seifried will sich für alle Kinder Zeit nehmen und ihnen „mit wenigen Worten die Welt beibringen“, wie sie sagt. Leistungsdruck auf die Kinder spürt sie aber auch außerhalb ihrer Einrichtung. „Ich werde oft gefragt, ob mein Konzept noch zeitgemäß ist. Die Kinder würden doch später eh Informatiker und Ingenieure.“ Aber ob das Kind das wirklich werden möchte, werde es oft gar nicht gefragt, sagt die Pädagogin.

Für Seifried ist ihre Arbeit „eine Berufung und kein Job“. Daher denkt sie mit 65 Jahren nicht ans Aufhören. „Ich könnte noch 50 Jahre so weiter arbeiten. Andererseits sehen ich mich manchmal nach etwas Ruhe. Dass die Zeit reif ist aufzuhören, möchte ich irgendwann spüren.“