Marie Marcks verbrachte die meiste Zeit ihres Lebens in Heidelberg. Foto: Kunstmann-Verlag

In Heidelberg zeigt eine Ausstellung Werke von Deutschlands größter Karikaturistin ihrer Zeit, der einzigartigen Kämpferin für Gerechtigkeit, Frauenrechte und Umweltschutz, Marie Marcks.

Mit spitzer Feder und gesalzenem Humor schrieb sie die Texte zu ihren treffenden Zeichnungen – etwa zu Familie, Politik, Atomwaffen, Kapitalismus oder Männer und Frauen. Ihre Figuren charakterisierten sehr große, oft spitze Nasen. Inhaltlich pikste Marie Marcks mit ihren Karikaturen hinein in offene Stellen und Wunden kleiner wie auch großer Gesellschaftsthemen und malte sich so zur wichtigsten Chronistin ihrer Zunft zwischen den 1960ern und 1990ern.

Wer sich für deutsche Geschichte interessiert, der erfährt auf gleich mehrfache Weise viele Facetten aus den vergangenen 100 Jahren im Mark-Twain-Center in Heidelberg. Dort findet noch bis Februar 2023 eine Ausstellung über die Karikaturistin Marie Marcks statt. Die Pionierin auf ihrem Gebiet hätte am 25. August dieses Jahres ihren 100. Geburtstag gefeiert. 2014 starb sie hochbetagt in ihrer Heimatstadt Heidelberg. Diese hat sich nun ihres sehr umfangreichen Werks – ihr Nachlass umfasst mehr als 2000 Zeichnungen – angenommen und stellt Teile davon im ehemaligen Hauptquartier der US-Streitkräfte Heidelberg, dem Sitz des Mark-Twain-Centers für transatlantische Beziehungen, aus. Vor allem deshalb, weil Marcks eine enge Verbindung zu den USA hatte.

Wegbereiterin für Karikaturistinnen

Marcks gilt als Wegbereiterin für Karikaturistinnen und ist eine extravagante Figur ihrer Zeit, sie ist die Chronistin eines halben Jahrhunderts deutscher Geschichte – mit dem Impetus, etwas zu verändern. Dabei waren viele ihrer Arbeiten auch Ausdruck ihrer eigenen Lebensrealität. Als alleinerziehende Mutter von fünf Kindern und freischaffende Künstlerin in einem männerdominierten Arbeitsumfeld der 50er, 60er, 70er und 80er Jahre wusste sie, was es heißt, mit Schwierigkeiten konfrontiert zu sein, und wie hart mancher Kampf im Beruflichen wie im Privaten sein kann.

Sie wurde 1922 in Berlin geboren, ihre Mutter hatte eine eigene Kunstschule, der Vater war Architekt. Marcks verbrachte ihre Jugend in Nazideutschland und dem Krieg, fliehen muss die Familie mehrmals, noch unter Kriegsvorzeichen studierte sie in Stuttgart und Berlin zwei Jahre Architektur, das Studium schloss sie jedoch nicht ab. 1948 zog sie nach Heidelberg und hatte dort Kontakte mit der US-Armee. Geldsorgen trieben die junge Frau um, und sie begann als Stiefelzeichnerin für die Army zu arbeiten. Zudem gestaltete sie Plakate für Veranstaltungen und Musik-Clubs der Amerikaner.

Grafikerin, Zeichnerin, politische Karikaturistin, Kämpferin, Mutter

Bevor die wissenschaftspolitische Zeitschrift „Atomzeitalter“ Anfang der 60er Jahre erste Karikaturen von ihr veröffentlichte, hatte Marie Marcks nicht nur Architektur studiert, sondern auch fünf Kinder bekommen und mit den älteren und ihrem zweiten Mann, dem Chemiker und Atomforscher Helmut Krauch, eine Zeit lang in den USA gelebt sowie für die Expo 1958 in Brüssel die grafische Gestaltung des bundesdeutschen Beitrags übernommen. Ihr erster großer und prestigeträchtiger Auftrag.

Es folgten weitere Karikaturenaufträge für deutsche Zeitschriften wie „Spiegel“, „Stern“ und „Titanic“. Von 1965 an wurde sie Stammzeichnerin der „Süddeutschen Zeitung“ und fertigte bis 1988 hierfür tagespolitische Karikaturen an. So wurden ihre spitzen Zeichen-Texte über mehr als 20 Jahre zum Begleiter einer breiten Öffentlichkeit. Marcks verarbeitete und kommentierte das Tagesgeschehen der 60er, 70er und 80er Jahre, prangerte Missstände in Politik, Familie, Geschlechterrollen, Städteplanung und -bau sowie in Sachen Umwelt an.

„Wie eine Getriebene. Sie zeichnete immer, ob im Urlaub oder beim Telefonieren und kommentierte von ihren Schreibtischen in Heidelberg aus das Zeitgeschehen“, beschreibt es etwa ihre älteste Tochter Ulrike Marcks bei der Pressebesichtigung der Ausstellung.

Einblicke in das Privatleben

Die Schau bietet einen Rundum-Einblick in Marcks’ Werk. Von sehr frühen Arbeiten, wie grafischen Arbeiten etwa als Plakate oder Einladungen, über ihre typischen Karikaturen bis hin zu Zeichnungen ohne Texte. Außerdem gibt eine kleine Ecke in der Schau mit Objekten und Fotos Einblicke in das Privatleben der Karikaturistin.

Viele ihrer Zeichnungen etwa zu Frauenthemen, Umwelt- und Energiepolitik wirken auch heute noch – oder wieder – brandaktuell. Vielleicht weil sich manches in dieser sich so schnell wandelnden Welt kaum verändert hat. Marcks hätte für diesen Widerspruch sicherlich eine prägnante Karikatur präsentieren können.

Dass sie auch immer wieder von der damaligen Frauenbewegung vereinnahmt wurde, kommentierte sie übrigens in einem Interview: „Ich war nie wirklich in der Frauenbewegung drin“, vielleicht sei sie so etwas wie eine Privatfeministin gewesen. „Aber ich war in keiner Organisation, was im Übrigen für mein ganzes Leben gilt. Da hatte mich die Hitlerzeit zu sehr geprägt – ich wollte für nichts und niemanden marschieren.“ Ob sie rückblickend meine, dass sie mit ihren Arbeiten etwas bewirkt habe, beantwortete Marie Marcks mit: „Ganz klar. Ich wollte die Welt verändern! Ob das gelungen ist? Ich weiß es nicht.“

Mehr Bilder und Hintergründe

Ausstellung
„Auf den Punkt gebracht – 100 Jahre Marie Marcks“, Mi–So 13–18 Uhr, Führungen am 13. November, 4. Dezember, 8. Januar jeweils um 14.30 Uhr, Marc-Twain-Center Heidelberg, Römerstraße 162, Heidelberg.

Doppelausgabe
Wer nicht auf Marcks’ Spuren in Heidelberg wandeln will, kann sich in zwei Bände vertiefen: Der Antje-Kunstmann-Verlag hat zum Anlass ihres 100. Geburtstags die zweibändige Werkausgabe „Die große Marie Marcks“ veröffentlicht: Darin: „Marie, es brennt! – Autobiografische Aufzeichnungen 1922–1968“, in denen sie mit Buntstiftzeichnungen von ihrem Leben erzählt, und „Karikaturen und Bildergeschichten“ mit Arbeiten aus fünf Jahrzehnten. Darin befindet sich auch das Interview mit der Zeichnerin.