Mit historischen Hüten und Kostümen machen in Stuttgart Frauen auf das Wahlrecht aufmerksam. Foto: Lichtgut/Julian Rettig

Mit einem Benefiz-Hutverkauf gedachten der „Stuttgarter Hut Club“ und die Initiative „Zuhause leben e.V.“ 100 Jahre Frauenwahlrecht und sammelten Geld für „Lebensträume“.

Stuttgart - Dunkelblau keck? Schwarz elegant? Cremefarben sommerlich? Welchen der vielen schönen Kopfbedeckungen auf dem Tisch soll Sigrid auswählen? „Den Sommer-Strohhut!“, meint die Seniorin, die im betreuten Wohnen des Paulinenparks der Diak Altenhilfe lebt. Die Pflegerin setzt ihn auf ihren Kopf. „Die Heimbewohnerinnen bekommen die Hüte geschenkt“, so Gerda Mahmens, Vorsitzende des Seniorennetzwerks „Zuhause leben e.V.“. „Der Paulinenpark unterstützt uns, in ihrem Krempels Bistro können wir unsere Aktion durchführen.“

Grund: Die Initiative lud mit den Frauen des „Stuttgarter Hut Clubs“ und des Katholischen Deutschen Frauenbunds (KDFB) ins Krempels zum Benefiz-Hutverkauf. Der Erlös ging an „Lebensträume“ – das soziale Projekt von „Zuhause leben“ erfüllt Seniorenwünsche. Anlass war indes die KDFB-Aktion „Wir ziehen den Hut“ zum 100-jährigen Jubiläum des Frauenwahlrechts in Deutschland. Über 50 Frauen – plus ein paar Männer – kamen, erwarben mit Spenden Hüte und ließen sich damit von Jan Behrendt, Macher der Medienwerkstatt Stuttgart-Neugereut, ablichten.

Das Frauenwahlrecht muss gewürdigt werden

Manche steuerten außergewöhnliche Modelle bei, Helga Wieland etwa ihren Hochzeitshut von 1962, eine weiße Pillbox, sowie einen tüllumhüllten Strohhut: „Der war fürs Standesamt!“ Der allergrößte Teil der Hüte sei gespendet worden, erklärte Mahmens. „Ein Teil stammt aus der enormen Sammlung der verstorbenen Buchautorin Sigrid Früh.“ Die Sagen- und Märchenforscherin habe motivieren wollen, mehr Hut zu tragen – wie der „Stuttgarter Hut Club“, den Mahmens im Jahr 2013 mitgründete. „Neben der Hutliebe geht uns darum, gemeinsam, sinnvolle Dinge zu tun“, so Monika Schöck, im Organisationsteam des Clubs. Sie betonte, dass noch bis Mitte der 70er-Jahre Frauen die Zustimmung des Mannes brauchten, um berufstätig zu sein. „Das Frauenwahlrecht muss gewürdigt werden.“

Manche zogen denn auch später „ihren Hut“ zu Ehren aller politisch engagierten Großmütter, Mamas, Töchter und Schwestern auf dem Schlossplatz. Dort demonstrierten Frauen der SPD und der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen (ASF Stuttgart), um an die Suffragetten zu erinnern, die einst das Frauenwahlrecht erkämpften. In historischen Kostümen – samt Hüten – aus dem Fundus der Staatstheater skandierten sie unter anderem „Starke Frauen – Starke Welt“, während die Trommelgruppe „Banda Maracatu“ dazu starke Rhythmen lieferte. Die Plakate, die sie à la anno 1919 hoch hielten, zeigten Slogans wie „Gleiche Arbeit, Gleicher Lohn“, „§219a Muss Weg“ oder „Sorge-Arbeit Aufwerten“ auf einer Seite. Auf der anderen prangten historische SPD-Wahlplakate. „Gleiche Rechte, Gleiche Pflichten“ war da zu lesen oder „Die Frau hat heute zu entscheiden über Krieg oder Frieden und ist der ausschlaggebende Faktor bei den kommenden Wahlen“.

Baden-Württemberg ist in Sachen Frauenanteil Schlusslicht

1919 sei ein Durchbruch gewesen, betonte die Stuttgarter SPD-Gemeinderätin Judith Vowinkel. „Unglaublich, dass Frauen in der Politik nach wie vor unterrepräsentiert sind, Baden-Württemberg ist in Sachen Frauenanteil Schlusslicht unter den deutschen Landesparlamenten.“ Gleichberechtigte politische Teilhabe sei die Voraussetzung für Gleichberechtigung schaffende Gesetze. „Wir wollen mit unserer historischen Demonstration auch darauf hinweisen, welche Rolle Stuttgart für Frauenrechte spielte“, so Vowinkel. „Hier war 1907 der erste Internationale Frauenkongress geleitet von Clara Zetkin. Wir fordern ein Frauendenkmal in Stuttgart, um die frauenpolitischen Errungenschaften zu würdigen.“

Das gefiel einigen – nicht nur weiblichen – Flaneuren, vor allem jenen jenseits der 30. In einer Gruppe Zwanzigjähriger hieß es: „Mir war gar nicht so bewusst, was vor 100 Jahren passierte.“ Eine ältere Passantin erklärte daraufhin: „Gerade deshalb und gerade heute, wo wieder in manchen Parteien archaische Rollenbilder hochkommen, die Frauen an den Herd verbannen, sind solche Aktionen mehr als nötig.“