Die Hamburger Band Trümmer in Stuttgart Foto: Steffen Schmid

Schöne Grüße von den Nerven: Die Band Trümmer setzt den spannenden Popdiskurs, der sich derzeit zwischen Hamburg und Stuttgart entwickelt, mit einem euphorischen Konzert im Club Zwölfzehn fort.

Stuttgart - Ein bisschen sieht Paul Pötsch, der sein blasses Gesicht hinter einem rotblonden Seitenscheitel und seinen schmächtigen Körper unter einer Lederjacke versteckt, wie Jochen Distelmeyer aus. Wie eine sehr junge Version des Mannes, der mit der Band Blumfeld eine Art von Musik erfand, die man bald die Hamburger Schule nannte und die wie die Fortsetzung des Philosophie- und des Soziologiestudiums mit anderen Mitteln klang. Diskurs-Pop war ein anderer Name, den man der Musik gab, die Soundtrack des Hier und Jetzt sein und die mit ihrer eigenwilligen Sprache nicht zwischen Privatem und Politischem unterscheiden wollte.

Genau dort kommen nun Trümmer ins Spiel: „Und ich, ich hab’ es satt / Nichts passiert in dieser Stadt / Ich bin rastlos und spür / Dass ich nicht dazugehör“, singt Pötsch in der hyperaktiven New-Wave-Hymne „Wo ist die Euphorie“. Das ist romantisch aufgeladene Systemkritik, zu der man tanzen kann. Zum Herzschlag der Musik zuckt das Publikum im Zwölfzehn, in dem es am Freitagabend eng wird. Das freut Pötsch, der im Januar schon einmal mit Trümmer in Stuttgart war. Damals, als sie im Merlin auftraten, waren Trümmer noch eine Band, die aus dem Nichts kam.

Nun wird das Trio als die Band der Stunde gefeiert. Im August erschien das Debüt voller zornig-enthusiastischer Songs, die immer wieder von Städten ohne Eigenschaften erzählen, von Städten, die in ihre Einzelteile zerfallen, von Städten, über denen ein Grauschleier liegt. Und von der Lethargie, der Langeweile, aber auch von der Hoffnung, dass es etwas Besseres geben muss.

In den Trümmer-Songs, die live eine empfindliche Vehemenz entwickeln, glaubt man mal Ton Steine Scherben, mal Fehlfarben herauszuhören – oder eben die Hamburger Schule. Wenn Pötsch in „Schutt und Asche“ klagt „Ich kriege keinen Frieden“, lässt sich das auch als Blumfeld-Verweis interpretieren. Die Band versteckt in ihren Songs Anspielungen auf Sonic Youth oder die Beastie Boys und in „1000. Kippe“ zitiert sie Ai Weiwei: „If you want to fight the system you have to fight yourself“ – wenn du das System bekämpfen willst, musst du dich selbst bekämpfen.

Auf vielen Listen mit den besten Platten des Jahres wird das Album „Trümmer“ (Pias/Rough Trade) auftauchen. Ebenso wie „Fun“ (This Charming Man/Cargo), das Album der Stuttgarter Band Die Nerven. Auch wenn sich in den Diskurs-Punk der Hamburger immer wieder eine zarter Unterton und eine Pop-Affinität einschleicht, während die Stuttgarter sich gerne hinter ihrer knurrigen Antihaltung verbarrikadieren, haben beide Bands viel gemeinsam. Trümmer und Die Nerven vertonen mit lärmender Larmoyanz gleichermaßen Frustration und Melancholie, Trotz und Aufbruch.

„Wir sollen euch schöne Grüße von den Nerven ausrichten“, sagt Pötsch dann auch am Freitagabend gegen Ende des Konzerts. „Die Jungs spielen heute leider in Bonn, sonst wären sie auch hier.“ Pötsch hat inzwischen nicht nur seine Lederjacke, sondern auch sein T-Shirt ausgezogen. Trümmer haben fast ihr gesamtes Repertoire gespielt, leihen sich zum Schluss noch von den Undertones „Teenage Kicks“ aus. Und Pötsch, der gerade noch gesungen hat „Wir sind viel zu schön, um jetzt schon nach Hause zu gehen“, streicht sich die Haare aus dem Gesicht und verschwindet von der Bühne.