Fotograf Dieter Blum in der Foto-Serie „Stuttgarter Charakterköpfe“ Foto: Wilhelm Betz

Männerporträts in Schwarz-Weiß: Wilhelm Betz hat für sein Buch „Charakterköpfe“ bekannte Stuttgarter fotografiert. Uwe Bogen, Redakteur und Kolumnist unserer Zeitung, hat die Texte dazu geschrieben.

Stuttgart - Die wohl häufigste Frage, die Wilhelm Betz über sein Buch „Stuttgarter Charakterköpfe“ gestellt wird, lautet: „Warum sind da keine Frauen drin? Haben die etwa keinen Charakter?“ Inzwischen ist der 62-Jährige gegen diese Frage gewappnet. Er lege nach, sagt er. Im nächsten Jahr erscheint sein Buch mit dem bisherigen Arbeitstitel „Stuttgarter Frauen“. Die ersten 20 habe er schon im Kasten. Längst hat er sich eine Ausrede zurechtgelegt, warum keine Frauen in diesem Buch sind: „Harte Lichtsets und kontrastreiche Bearbeitung sind für Porträts von Frauen nicht optimal.“ Für die Frauenreihe wähle er ein weicheres Licht. Frauen wollen auf Fotos schließlich besser aussehen als in Echt, nicht ehrlich.

Bei Männern, so sagt man, zählt das Aussehen nicht so viel, sondern der Charakter. Die 56 Stuttgarter sind Kulturschaffende, Politiker, Gastronomen, Winzer, Fotografen, Künstler. Die hat Betz so fotografiert und inszeniert, dass sie Ecken und Kanten zeigen, wie Furchen und Falten im Gesicht. Charakter eben. Die Personen der Schwarz-Weiß-Aufnahmen sollen ein Abbild der Stuttgarter Gesellschaft sein, die vielfältig ist. So ist der Gastronom Evangelos Pattas, ein Belgier, im Buch abgelichtet, ebenso wie der Grünen-Politiker Cem Özdemir oder der Tänzer Eric Gauthier, gebürtiger Kanadier.

Weiches Tiefscharf der dunklen Bereiche

Obwohl das Buch nichts Farbiges enthält, hat es der Silberburg-Verlag durchgehend vierfarbig drucken lassen – mit verschiedenen Schwarz- und Grautönen, was das weiche Tiefschwarz der dunklen Bereiche, also die hohe Qualität des Bandes erklärt.

Nun sollten die „Stuttgarter Charakterköpfe“ aber kein auf Papier gedrucktes „Who’ s who“ der Schwaben sein, keine reine Ansammlung von allseits bekannten Promis. Es finden sich auch einige Überraschungen in dem Bildband. Beim Casting hat Betz’ Frau geholfen. Sie ist Zeitungsleserin und hat bei ihrer täglichen Lektüre für ihren Mann beeindruckende Personen herausgesucht. Nach und nach hat er eine Liste erstellt, die Personen angeschrieben und viele Rückmeldungen von ihnen bekommen.

Am liebsten mag Betz die „Silberwölfe“ im Buch, also die etwas älteren Herren. Die wiederum machen ohnehin einen wichtigen Teil des Buches aus. Charakter bekommt man ja auch erst so recht im Alter. Am meisten Ehrfurcht hatte Betz bei seinen zahlreichen Fotoshootings, die ihn durch etliche Restaurants, Wohnzimmer und Theaterbühnen dieser Stadt geführt haben, aber nicht vor dem Alter, sondern vor den Porträts von großen Stuttgarter Fotografen. Fotograf Dietmar Henneka sei für ihn ein „starker Typ“, sagt Betz. Jahrelang habe er die hiesige Fotografenszene dominiert. Bei Dieter Blum, der einst den Marlboro-Cowboy fotografiert hat, beeindruckte ihn nicht nur der Mensch an sich. Besonders sei auch der Schauplatz gewesen, erzählt der 62-Jährige. „Es waren die letzten Aufnahmen in diesem Studio. Es wurde danach abgerissen.“ Ein unvergesslicher Moment für Betz. „Und es war für mich einfach eine Riesenehre, diese Fotoikonen selbst fotografieren zu dürfen.“

Angefangen hat die Serie als Semesterarbeit

Diese Ehrfurcht ist mit dem Werdegang Betz’ zu erklären. Die Fotografie war sein Leben lang nur ein Hobby. Reisefotografie war sein Ding, Technisches hat er sich autodidaktisch angeeignet. Erst im Alter erfüllte er sich einen Wunsch. Nach 40 Jahren als ITler bei IBM, 25 Jahre davon im Vertrieb, ging er in Altersteilzeit und absolvierte in seiner freien Zeit ein Fotodesignstudium. Sein erstes Fotobuch, die „Charakterköpfe“, war anfangs nur eine Semesterarbeit. Nach und nach sind zu den zunächst 16 Porträts immer mehr dazugekommen.

Geübt hat Betz mit seinen beiden Freunden Volker Reuß und Thomas Becker. Mit ihnen hat er Posen einstudiert, Lichtsets getestet und an seiner Konzeptidee gefeilt. „Erst danach bin ich auf die Menschheit losgegangen“, sagt Betz. Parallel hat er sich mit Youtube-Tutorials und Literatur in die Porträtfotografie, in das Spiel von Licht und Schatten reingefuchst. Seine Idee letztlich: bekannte, interessante Stuttgarter Männer zu porträtieren und damit deren Charakter zu zeigen. Das Gesicht ist dabei immer sein Hauptmotiv, oft besonders die Augen. Die Bilder unterscheiden sich letztlich nur in der Haltung des Kopfes des jeweiligen Mannes, alle sind vor einem schwarzen Hintergrund abgelichtet, tragen dunkle Kleidung.

Das Buch besteht aber nicht nur aus den Porträts der Charakterköpfe. Man erfährt auch etwas über ihre Einstellungen und Werte. Alle haben dieselben Fragen gestellt bekommen über ihre Stärken und ihre Schwächen. Und was sie sich für Stuttgart wünschen und was sie ärgert. Ganz unabhängig vom Charakter ähneln sich die Aussagen überraschend stark: weniger Baustellen, weniger Verkehr, bessere Luft.

Wer hat nun mehr Charakter, die Männer oder die Frauen? „Im Moment ist es mit den Frauen einfacher“, sagt Betz. Wenn er ein gutes Shooting mache, werde er an Freundinnen empfohlen. „Bei den Männern war das Netzwerk nicht so ausgeprägt.“ Vielleicht ist das eben auch Charaktersache.