Der S-21-Projektchef Manfred Leger (li.) setzt auf die Bewertung des Ingenieurbüros Wittke. OB Fritz Kuhn schaut skeptisch. Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Die Baugesellschaft der Bahn vertraut dem von ihr beauftragten Gutachter. Zur Kostenkalkulation besteht im Lenkungskreis weitgehend Einigkeit.

Stuttgart - Beim Bahnprojekt Stuttgart 21 werden in der Landeshauptstadt rund 59 Kilometer Tunnel gebaut. Die Röhren vom neuen Tiefbahnhof nach Bad Cannstatt, Feuerbach, Obertürkheim und auf die Filder führen streckenweise durch quellfähiges Anhydrit-Gestein. Bei Wasserzutritt dehnt sich dieses stark aus. Das kann, wie beim Wagenburgtunnel oder aktuell dem Engelbergtunnel, zu dauerhaftem Sanierungsbedarf führen. Im Extremfall wären Bahntunnel während der Reparaturarbeiten nicht nutzbar.

Der Aufsichtsrat der Bahn AG hatte das Gutachterbüro Ernst Basler & Partner (Zürich) um eine Einschätzung zu diesen Risiken gebeten. Die Schweizer sehen für Schäden eine Eintrittswahrscheinlichkeit von 0,5 bis 13 Prozent, wobei die höhere Zahl für längere Strecken gilt. Die für den Bau in Stuttgart verantwortliche Projektgesellschaft hat mit dem Büro Walter Wittke Beratende Ingenieure (Weinheim) einen weiteren Gutachter beauftragt. Wittke rechne, so Projektchef Manfred Leger, mit einem Risiko zwischen null und 0,5 Prozent. „Mit Wittke haben wir den richtigen Gutachter, er hat Erfahrung aus 30 Jahren Tunnelbau“, sagte Leger nach der Sitzung vor der Presse. Der Projektchef weiter: „Die Risiken werden so nicht eintreten, das ist klar.“

Beide Büros geltenb als renommiert

Grundsätzlich gebe es zwar „heute kein hundert Prozent sicheres technisches Verfahren, bei dem man sagen kann, dass nichts passiert“, die Bahn baue aber „so sicher wie es irgend geht“. Auch Ernst Basler sei ein „renommiertes Büro mit guter Expertise“, das sich über einen Experten der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich „rückversichert habe“, so Leger. Basler nimmt an, dass es auch später im Betrieb noch zu Schäden an Tunneln durch das Quellen von Anhydrit kommen könnte.

Es sei ein „wenig überraschender Austausch“ zwischen den Tunnelbau-Experten gewesen, sagte die Regionaldirektorin Nicola Schelling für den Verband Region Stuttgart. Es liege in der Natur der Sache, dass es unterschiedliche Meinungen gebe. Die Tatsache, dass es beim Bau und Betrieb des Hasenberg-S-Bahn-Tunnels im Anhydrit keine Probleme gebe, lasse sie „positiv in die Zukunft blicken“.

Minister: Sanierung wäre Katastrophe

So beruhigt ist Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) nicht. Man habe zwei Sichtweisen gehört. Und die Zusicherung der Bahn, dass sie die Verantwortung übernehme. Klar sei, dass „ein Engelbergtunnel-Erlebnis hier nicht passieren darf“, so Hermann, denn dann wäre der Hauptbahnhof von der Hauptstrecke abgehängt. „Es wäre katastrophal für die gesamte Region, wenn der Feuerbacher Tunnel saniert werden müsste“, sagte der Minister.

Die Projektgesellschaft schließe sich „zu hundert Prozent Wittke an“, sagte OB Fritz Kuhn (Grüne). Sie setze 144 Millionen Euro aus dem S-21-Risikotopf ein, um Wasserzutritt zu verhindern und die Tunnel stabiler zu bauen. Ihn wundere, so Kuhn in einer Spitze gegen den Bahn-Aufsichtsrat, dass sich das Kontrollgremium mit dem Gutachten und der Anhydrit-Problematik noch gar nicht beschäftigt habe. „Ich hoffe, dass der Aufsichtsrat bald wieder in der Lage sein wird, so komplizierte Sachen durchzuführen“, sagte Kuhn.

Die Bahn-Kontrolleure hatten diese Woche in einer turbulenten Sitzung den sofortigen Abgang des vergrätzen Bahnchefs Rüdiger Grube zur Kenntnis nehmen müssen. Zuvor hatte bereits der lange Jahre für Stuttgart 21 zuständige Infrastruktur-Vorstand Volker Kefer das Unternehmen „aus persönlichen Gründen“ vorzeitig verlassen. Das könnte Kefer, der mehrfach als Grubes möglicher Nachfolger genannt worden war, inzwischen heftig bedauern.

Bahn: Schäden am Kriegsberg wohl durch uns

Bei bereits aufgetretenen Schäden an Häusern am Kriegsberg (Feuerbacher/Cannstatter Tunnel) durch Untergrundbewegungen nehme er an, „dass sie auf uns zurückzuführen sind“, sagte Leger. Wenn die Nachweise erbracht seien, werde die Bahn den Schaden übernehmen. Geländehebungen habe es dort nicht gegeben. Den Einfluss von Anhydrit schließt die Bahn aus.

Die Projektpartner hatten Stuttgart 21 im Jahr 2009 mit 4,5 Milliarden Euro finanziert, der Bahn-Aufsichtsrat beschloss 2013 bis zu zwei Milliarden zusätzlich aus Bahnmitteln. Die Bahn will vor Gericht eine Beteiligung der Partner erstreiten. Am Mittwoch waren sich alle einig, dass die Überprüfung durch das Büro KPMG mit einer Bandbreite von 6,3 bis 6,7 Milliarden Euro nachvollziehbar sei. „Die Kalkulation gibt laut Gutachter den heutigen Wissensstand wieder. Sie ist einigermaßen plausibel, aber kein Beweis“, so Minister Hermann.