Das Grundstück für das neue Wohngebiet am Pragsattel. Foto: StN

Es geht um 250 neue Wohnungen. Doch hinter den Kulissen wird erbittert um den Boden, auf dem das Theaterviertel entstehen soll, gestritten. Der ehemalige Eigentümer greift nun die Stadt an.

Stuttgart - Es schwirren Millionensummen durch den Raum, doch ganze 154 Euro könnten im Streit um das Bauland, auf dem eines der größten Wohngebiete der Stadt geplant ist, eine entscheidende Rolle spielen.

Der ehemalige Eigentümer das Baulands direkt hinter dem Theaterhaus, die Sabet Grundstücksverwaltungs GmbH, ist insolvent. Das Verfahren dauert seit mehr als zehn Jahren an. Kurios ist der heutige Stand: „Die aktuell einzige vom Insolvenzverwalter Steffen Beck festgestellte Forderung sind 154 Euro der Stadt Stuttgart“, erklärt Hafez Sabet, der Sohn des verstorbenen Firmengründers. Und: „Die Stadt hat es strikt abgelehnt, diese Restforderung ablösen zu lassen“, sagt Sabet. „Die Stadt hat sich somit das entscheidende Stimmrecht in der Gläubigerversammlung bewahrt“, sagt Sabet. Er leitet daraus einen schwerwiegenden Vorwurf gegen die Verwaltung ab: „Die Stadt unterstützt mit ihrem Verhalten einen sittenwidrigen und insolvenzzweckwidrigen Grundstücksverkauf.“

Um diesen Vorwurf zu verstehen, muss man die Vorgeschichte kennen. Sabet ist überzeugt, dass die Grundstücke ursprünglich unter Wert verkauft wurden. Die Flächen wurden am 16. August 2013 für 6,7 Millionen Euro aus der Insolvenzmasse heraus verkauft. Sabet führte Gutachten an, die belegen sollten, dass die Flächen einen höheren Wert haben. Hafez Sabet: „Die Deutsche Bank hat die Firmen der Familie in die Insolvenz getrieben, um sich die Vermögenswerte des Mittelständlers unter den Nagel zu reißen.“ Sein Vorwurf: Die Bank sei an der Firmenstruktur der Käufer beteiligt und wolle so vom späteren Projektgewinn profitieren.

Die Deutsche Bank teilt auf Anfrage mit, man werde sich nicht zu Kundenbeziehungen äußern. Patrick Sutter, der Sprecher von Insolvenzverwalter Steffen Beck, erklärt: „Im August 2013 war nur ein Verkauf ohne Baurecht und ohne die angrenzenden städtischen Grundstücke möglich. Es gab hierzu keine Alternative.“ Weiter sagt er: „Dieser Verkauf war die beste erzielbare Lösung. Die Banken und die Gläubigerversammlung haben dem Verkauf einstimmig zugestimmt.“ Der Insolvenzverwalter sei damit all seinen Verpflichtungen nachgekommen, so der Sprecher. Und: „Die Gläubiger wurden in keiner Weise benachteiligt.“

Zudem erklärt von Steffen Beck: „Im Zuge des Insolvenzverfahrens hat es zahlreiche Gerichtsverfahren gegeben. Sämtliche Gerichte haben bestätigt, dass die Klagen unbegründet sind. Das ist ein Beleg, dass der Insolvenzverwalter alle seine Pflichten erfüllt hat.“ Es sei die gesetzliche Pflicht des Insolvenzverwalters, das bestmögliche Ergebnis für die Gläubiger zu erzielen. „Das ist in diesem Verfahren wie in allen anderen Verfahren geschehen“, so Sutter.

Weiterverkauf für 17,1 statt 6,7 Millionen Euro

Inzwischen stützt sich Sabet jedoch nicht mehr allein auf Gutachten. Im August 2013 waren die Käufer die Projektgesellschaften Maybach. Diese haben die Flächen inzwischen weiterverkauft – an den Investor Formart. Nach Informationen unserer Zeitung wird in diesem Vertrag vom 11. März 2015 der Verkaufspreis mit mindestens 17,1 Millionen Euro angegeben – fast eine Verdreifachung des Preises.

Eines von Sabets Zielen ist es daher, Steffen Beck, der inzwischen für die Kanzlei Pluta arbeitet, durch einen Sonderinsolvenzverwalter zu ersetzen. „Dafür müsste die Stadt die Auffälligkeiten rund um den 6,7-Millionen-Verkauf erkennen und konsequenterweise ihr Stimmrecht im Insolvenzverfahren für die Einsetzung eines Sonder-insolvenzverwalters nutzen“, fordert Sabet. „Solange die Landeshauptstadt aber den Insolvenzverwalter deckt und von ihrem Stimmrecht nicht Gebrauch macht, schützt sie den Kaufvertrag.“

Die Stadtverwaltung wehrt sich vehement gegen diese Vorwürfe. „Wir sind neutral und schützen niemanden“, erklärt der Erste Bürgermeister Michael Föll (CDU). Weiter erklärt er, man verkaufe Forderungen aus Insolvenzverfahren grundsätzlich nicht. Mit Blick auf die Brache auf der Prag sagt Föll: Angesichts des Wohnungsmangels sei man an einer raschen Entwicklung interessiert. „Ich rechne aber damit, dass der Bauantrag noch 2017 eingereicht wird“, so Föll. „Das würde einen Baustart im zweiten Halbjahr 2018 ermöglichen.“ Im Übrigen: Im Sommer 2014 wurde vonseiten der Stadt noch Anfang 2015 als Baubeginn genannt.

Damit das Theaterviertel allerdings gebaut werden kann, muss die Stadt eigene Grundstücke auf dem Areal an den Investor verkaufen. „Das wird parallel zum Einreichen des Bauantrags geschehen. Die letzten offenen Fragen sind geklärt“, berichtet Föll. Bemerkenswert ist, dass es sich um einen ungewöhnlich umfangreichen Vertrag handelt. Die Stadt hat nach eigenem Bekunden darauf bestanden, Klauseln einzufügen, die einen Rücktritt vom Verkauf ermöglichen. Als Grund nennt Föll die brisante „Vorgeschichte“ des Bauprojekts. In diesem Zusammenhang erscheint ein Schreiben des Insolvenzverwalters interessant, welches weniger als ein Jahr vor dem ersten Verkauf der Grundstücke an das Insolvenzgericht verschickt wurde. In dem Dokument, welches unserer Zeitung vorliegt, berichtet der Jurist von einem Gespräch, an dem unter anderen der Erste Bürgermeister Michael Föll und Ines Aufrecht, die Leisterin der städtischen Wirtschaftsförderung, sowie die Deutsche Bank, Vertreter einer Privatbank und die Muttergesellschaft der späteren Käufer beteiligt waren. Unter anderem heißt es darin: „Dort hat man sich auf ein gemeinsames Miteinander verständigt.“

Stadt Stuttgart wehrt sich gegen Vorwürfe

Für Hafez Sabet eine Absprache zulasten der Familie: „Das gemeinsame Miteinander von Insolvenzverwalter, Banken, dem späteren Käufer und der Stadt ist die Grundlage für den sittenwidrigen Kaufvertrag vom August 2013 über 6,7 Millionen Euro.“ Und: „Hier wurde an der Familie Sabet vorbei eine Vereinbarung getroffen, die Grundstücke zu verschleudern.“

Angesprochen auf das Schreiben, erklärt Föll: „Es ist richtig, es hat Gespräche mit Insolvenzverwalter und Banken gegeben. Die Stadt hat dabei aber nie irregulären Absprachen getroffen.“ Die Landeshauptstadt habe allein das Interesse verfolgt, die Flächen auf der Prag zu entwickeln“, so Föll weiter.

Insolvenzverwalter Steffen Beck lässt über seinen Sprecher erklären: „Im November 2012 wurde noch eine gemeinsame Lösung mit Baurecht und mit den angrenzenden städtischen Grundstücken angestrebt.“ Daher sei im Bericht des Verwalters die Rede vom „gemeinsamen Miteinander“. Eine Veräußerung im Rahmen einer gemeinsamen Lösung mit Bedingungen habe jedoch nicht realisiert werden können, so dass ein Verkauf ohne Bedingungen erfolgte – also ohne Baurecht und ohne städtische Arrondierungsgrundstücke.