Foto: Steffen Schmid

Sukhada Tatke stammt aus Mumbai, der Partnerstadt Stuttgarts. Im Rahmen des Austauschprojekts „Nahaufnahme“ des Goethe-Instituts hat sie 2011 mit unserer Redakteurin Anja Wasserbäch ihren Arbeitsplatz getauscht. Jetzt war sie wieder zu Besuch in Stuttgart – mit veränderter Sicht auf die Dinge in einer veränderten Stadt.

Stuttgart - Beim Blick aus dem Flugzeug grüßte mich ein bekanntes Bild: die roten Dächer der Häuser unter mir. Ich war zurück in Stuttgart, meiner ersten Heimat weit weg von meiner eigentlichen Heimat, in der ersten Stadt, in der ich außerhalb meiner Heimatstadt Mumbai lebte.

„Ich bin wieder zurück. Wer hätte das gedacht?“, sagte ich zu meinen Freunden, die mich am Flughafen abholten. Es war wie heimzukommen, sechs Jahre nach meinem ersten Besuch, drei Jahre nach meinem vorerst letzten.

2011 war ich einen Monat bei den Stuttgarter Nachrichten im Rahmen eines Austauschprogramms des Goethe-Instituts. Damals dachte ich nicht, dass ich Freunde finden würde, die inzwischen so was wie eine Familie für mich sind. Und dass sich diese Stadt tief in meinem Herzen verankern würde, sodass ich immer wieder zurückkommen würde. Keine Reise nach Europa ohne einen Besuch dieser liebenswerten Stadt und bei ihren Menschen . In diesem Sommer ist es nicht anders, als ich durch ein Forschungsstipendium der Robert-Bosch-Stiftung nach Deutschland zurückkomme – und doch hat sich so viel verändert in den vergangenen Jahren.

Neu war: Dieses Mal stand ich im Stau

Auf dem Weg vom Flughafen zum Killesberg scheinen die Straßen geschrumpft zu sein. Waren das dieselben Straßen, diese bekannten Autobahnen, auf denen mir die Geschwindigkeit mal Angst gemacht hat? Ich musste mich selbst daran erinnern, dass ich in der Zwischenzeit nicht mehr in Mumbai lebte, sondern in Houston, Texas. Einer Stadt mit riesigen Highways, riesigen Autos und schnellen Geschwindigkeiten. Mit dieser Erfahrung war ich zurück in der Stadt. Und: Ich bin älter geworden und habe einen anderen Blick auf die Dinge.

Dieses Mal stand ich im Stau. Etwas, das ich nie mit Stuttgart in Verbindung brachte. Die Menschen beschwerten sich zudem über Luftverschmutzung. Wenn man aus Mumbai stammt, wo die Luft geradezu fast immer toxisch ist, konnte ich die Verschmutzung in Stuttgart weder sehen noch fühlen, doch registrierte ich mehr Baustellen und Autos auf den Straßen. Überall war Feinstaub das große Thema. Und es war ermutigend zu sehen, dass Carsharing-Initiativen bald nicht mehr wegzudenken sein werden.

„Was möchtest du dieses Mal machen? Gibt es irgendwas, das du sehen möchtest?“, fragte mich meine Freundin. Im Kopf ging ich all die Plätze durch, die ich kannte: Königstraße, Schlossplatz, Fernsehturm, Killesberg-Park. Ich war überrascht, dass die Namen wie Charaktere und Episoden aus einem längst vergessenen Buch zurück kamen.

Aus der Ferne habe ich die Flüchtlingskrise verfolgt

Ich wollte dieses Mal mehr über die Flüchtlinge erfahren. Aus der Ferne habe ich die Flüchtlingskrise verfolgt, doch wollte ich sie aus der Nähe verstehen. Was gäbe es da für einen besseren Ort als Deutschland?

Stuttgart mit 40 Prozent Migranten schien passend. Von Amerika aus, das nun seit der Wahl von einem Mann mit dem Namen Donald Trump regiert wird, habe ich die Krise in Europa beobachtet. Voll Bewunderung las ich über Angela Merkel, wie sie mit einer Haltung, die jeder Weltpolitiker haben sollte, allen Widerworten gegenübertrat.

Schon bei meinem ersten Besuch habe ich Stuttgart als Stadt wahrgenommen, die Ankömmlinge freundlich willkommen heißt. Dieses Mal erfuhr ich noch mehr davon. Im Welcome-Center am Charlottenplatz lernte ich, was es heißt, Menschen zu integrieren, die vor Kriegen, Verfolgung und Wirtschaftskrisen in ihren Heimatländern geflohen sind.

Zu Besuch in einer Flüchtlingsunterkunft beim Killesberg-Park

In einer Flüchtlingsunterkunft beim Killesberg-Park, wo die meisten der Flüchtlinge aus Syrien und Afghanistan kommen, machen zwei junge Deutsche eine Radioshow. „Wir müssen die Vielfalt in den Unterkünften zeigen“, sagt einer. Der zehnjährige Ahmad aus dem Iran ist der Star. Er führt einen improvisierten Rap-Song auf Deutsch vor. Er erzählt darin über sein Leben in der Schule. Dann sind drei Leute aus Nigeria an der Reihe, die anfangen, Lieder aus ihrem Land zu singen. „Wir vermissen unser Land, aber in der Musik lebt es weiter“, erzählt mir einer.

An einem anderen Tag hatte ich einen Blick auf Stuttgart vom Robert-Bosch-Haus aus. Von dort sah ich den hohen und mächtigen Fernsehturm, von dem ich das erste Mal eine großartige Sicht auf die Stadt hatte. Wie in den meisten anderen deutschen Städten ist es auch in Stuttgart schwierig, auf die Innenstadt zu blicken und nicht daran zu denken, welcher große Schaden während des Krieges angerichtet wurde. Es ist schwer, in Deutschland zu sein und nicht an den Wahnsinn eines Mannes, der die Welt an den Tiefstpunkt der Grausamkeit geführt hat, zu denken.

Es ist nicht das erste Mal, dass ich von Deutschlands Beharrlichkeit überwältigt bin, die Vergangenheit am Leben zu erhalten und sicherzugehen, dass sich dieselben Fehler nicht wiederholen. Und dennoch ist da ein Gefühl von Furcht vor dem, was die Wahlen bringen werden. Umfragen und Experten sagen, dass die rechtspopulistische Alternative für Deutschland nicht besonders relevant sei. Und dennoch ist es beunruhigend zu sehen, dass die Partei und ihre Ideologien manche ansprechen.

Ich hoffe sehr, dass das Land die Menschen weiterhin so willkommen heißt und sich nicht in der Leitkulturdebatte verheddert. Je mehr Zeit ich damit verbringe, Einblicke in das Leben zu bekommen, desto mehr ist das Zurückkommen nach Stuttgart, wie sich in seinem Lieblingskapitel seines liebsten Buches zu verlieren.