Tim Göhner übt zum Auftakt der Aktion, wie man ein Feinstaub-Messgerät zusammenbaut. Foto: factum/Bach

Die Grünen starten eine Aktion unter dem Motto „Gute Luft in Böblingen? Wir messen nach!“ und verteilen 20 Geräte an Interessierte, die zuhause aktiv werden wollen. Eine geplante Luft-Untersuchung der Stadt lässt bisher auf sich warten.

Böblingen - Tim Göhner steckt einen Schlauch in einen kleinen Ventilator. Der 18-Jährige aus Dagersheim übt, wie so ein Feinstaub-Messgerät zusammengebastelt wird. Gemeinsam mit ihm taten das am Samstag mehr als 20 Bürger, die sich zum Auftakt der Kampagne „Gute Luft in Böblingen? Wir messen nach!“ im Versammlungsraum in der evangelischen-methodistischen Kirche eingefunden hatten. Selbst etwas zu tun, dazu ruft die Gemeinderatsfraktion der Grünen auf. Sie will erreichen, dass in Böblingen möglichst viele private Feinstaub-Messstationen installiert werden. Sie hat jetzt erst einmal 20 solcher Geräte an Interessierte verteilt. „Wir wollen die Bevölkerung für das Thema sensibilisieren“, nennt der Grünen-Stadtrat Stefan Belz das Hauptziel der Kampagne.

Grenzwert bei Stickstoffdioxid überschritten

Laut Belz haben bereits einige Bürger solche selbst gebauten Feinstaubsensoren an ihrem Balkon oder an einer Hauswand befestigt. In wenigen Wochen sollen in Böblingen und in Dagersheim rund 30 private Messstationen Daten liefern. Der Hintergrund: Die Grünen-Fraktion hatte eine umfassende Untersuchung bei der Stadt beantragt, die vom 1. Januar des nächsten Jahres an stattfinden sollte. Zusammen mit der Landesanstalt für Umwelt, Messungen und Naturschutz soll die Verwaltung aktiv werden. Der Gemeinderat habe darüber bisher aber nicht abgestimmt, sagt Belz. Und das obwohl eine Analyse im vergangenen Frühjahr alarmierende Werte ergeben habe.

Drei Monate lang wurde damals an vier Standorten in der Böblinger Innenstadt und an zwei Stellen in Dagersheim die Stickstoffdioxid-Belastung gemessen. Stickstoffoxide tragen zur Luftbelastung bei. In der Poststraße lag der ermittelte Stickstoffdioxid-Höchstwert bei 63 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft, als Grenzwert gilt 40. Und an den meisten anderen Messstellen reichte das Ergebnis an den Grenzwert ziemlich knapp heran.

Geübte bauen ein Gerät in zehn bis 20 Minuten zusammen

Um so dringender sind laut den Grünen in Böblingen eigene Messungen. In der Region gebe es bereits 330 solcher in Eigenregie hergestellten Feinstaub-Analyse-Stationen, weltweit summiere sich die Zahl inzwischen auf 1200, berichtet Frank Riedel von der Open Knowledge Foundation Deutschland (OK), einem gemeinnützigen Verein, der sich für offenes Wissen, offene Daten, Transparenz und Beteiligung einsetzt. Riedel ist im dazugehörigen OK Lab Stuttgart aktiv, das sich für die Messaktion engagiert. „Wir wollen ein Netzwerk aufbauen, um so viele Daten wie möglich zu erhalten“, sagt Riedel. Diese laufen über Wlan-Verbindungen an den Feinstaub-Messstationen auf zwei Servern bei den Aktivisten ein, die das Zahlenwerk sammeln, auswerten und veröffentlichen.

Gemessen wird rund um die Uhr, auch die Temperatur und die Luftfeuchtigkeit. Ideal sei eine Aufhängung in 50 Zentimetern bis in zwei Metern Höhe an einer viel befahrenen Straße. Aber auch im dritten Stockwerk eines Wohnhauses oder hinter einem Gebäude in Richtung eines Gartens seien Messungen nützlich, sagt Riedel.

Geübte bauen ein Messgerät in zehn bis 20 Minuten zusammen. Tim Göhner weiß schon etwa, wie es geht. Er hat bereits eines bei sich zuhause hängen. Vielleicht kann er ja einem Nachbarn oder einem Freund beim Basteln behilflich sein.

Mitglieder des Stuttgarter Vereins OK Lab helfen weiter

Bausatz:
Das Gerät besteht aus einem Halbleiterchip, einem Feinstaubsensor, einem Luftfeuchtigkeits- und Temperatursensor, einem USB-Kabel, einem Steckernetzteil, Kabelbindern, einem Schlauch mit sechs Millimetern Durchmesser und Hochtemperatur-Röhren (HT-Bögen) für den Wetterschutz. Der Bausatz kann für rund 40 Euro bestellt werden.

Bauanleitung:
Wie das Feinstaubmessgerät zusammengebaut wird, ist auf der Internetseite http://luftdaten.info nachzulesen. Dort ist auch die Bestelladresse vermerkt. Die Software wurde vom Verein OK Lab Stuttgart programmiert und muss überspielt werden.

Hilfestellung
: Wer Unterstützung benötigt, kann an jedem zweiten Dienstag im Monat um 19 Uhr ins Shackspace in der Ulmer Straße 255 in Stuttgart-Wangen kommen, wo Mitglieder des OK Lab Stuttgart mit Rat und Tat zur Seite stehen. Einer von ihnen ist Frank Riedel (www.riedelwerk.de). Hilfestellungen gibt es auch in Computerclubs wie Hackspace.

OK Lab Stuttgart
: Ein fester Stamm von zehn Leuten arbeitet an Projekten unter dem Gesichtspunkt der Transparenz und der Datenvisualisierung. Das OK Lab gehört zur Open Knowledge Foundation Deutschland, einem gemeinnützigen Verein. Zurzeit geht es hauptsächlich um Feinstaub. Die Mitglieder sind in diversen Berufen tätig (als Designer, Entwickler, Programmierer, Journalisten). Sie entwickeln Apps, mit denen sie die Gesellschaft informieren, unterstützen und gestalten wollen. Außerdem begleiten sie die Arbeit von Verwaltungen und Behörden kritisch. Ihr Treffpunkt ist an jedem vierten Dienstag im Monat um 18.30 Uhr in der Stadtbibliothek am Mailänder Platz.