Ein Stich aus dem Jahr 1870 zeigt eine Hexenverbrennung. Foto: Bayrisches Nationalmuseum, Köhler/andreart, Guilane-Nachez/Adobe Stock

Das Ravensburger Museum Humpis-Quartier erinnert an den Schrecken der Hexenverfolgung im Jahr 1484 und die unrühmliche Rolle der ehemaligen Reichsstadt.

Ravensburg - Ein fester Gottesglaube ist gut, aber ein wenig Magie zur Abwehr drohender Unglücke kann dazu nicht schaden – das war im Mittelalter eine verbreitete Einstellung in der Bevölkerung. So ließen manche besorgte Eltern auf die Frontseiten hölzerner Kinderbettchen das Christusmonogramm schnitzen. Und hinten auf dem Brett kerbten sie ein Pentagramm ein, zum Schutz vor dem Schadenzauber, den Hexen anrichten konnten. Weil Hexen bekanntlich durch die Lüfte ritten, wurden in Kaminnähe Ziegel mit Schreckgesichtern angebracht. Hinter die Türrahmen wurden zusätzlich „Hexenzettel“ mit Abwehrsprüchen gesteckt.

Die Wiege, die Zettel, die Ziegel, dazu Kaurimuscheln zur Abwehr böser Blicke, schließlich briefmarkengroße Schluckbildchen der Madonna mit dem Kind, die Kleinkindern auf die Zunge gelegt wurden: Das alles ist Teil der Ausstellung „Hexenwahn 1484“, die bis 3. Oktober im Ravensburger Museum Humpis-Quartier zu sehen ist. Einen Raum weiter gefriert jedes neuzeitliche Lächeln: Zu sehen sind ein dornenbewehrter Folterstuhl, ein Seilaufzug, an dem der Hexerei verdächtigte Frauen an den Händen aufgehängt wurden, und das einzige erhaltene originale Exemplar eines „Hexenhemdes“ aus dem 17. Jahrhundert. Die gefangenen Frauen wurden hineingesteckt, damit nicht in den Nähten der ursprünglichen Kleidung etwas versteckt blieb, was einen Schweige- oder Schadenzauber während der Mordhandlungen bewirkte.

Der Inquisitor und der Bürgermeister arbeiten zusammen

In der dunklen Zeit der systematischen Hexenverfolgung in Süddeutschland und der Schweiz steht der Name der Stadt Ravensburg für den Beginn. Im Herbst 1484 tauchte dort der Dominikanermönch Heinrich Kramer auf, der sich zu diesem Zeitpunkt den Nachnamen Institoris gegeben hatte, und wies sich anhand päpstlicher Dokumente als Inquisitor aus. Der Bürgermeister Konrad Gäldrich begrüßte ihn freudig. Man kannte sich aus früheren Jahren im Zusammenhang mit der Vertreibung von Juden aus der Stadt. Es war eine Zeit von Not und Missernten, hervorgerufen wohl durch die sich ausbreitende und mit Hagelschlägen einhergehende sogenannte Kleine Eiszeit. Die Folgen der Klimaveränderung, dazu die Ausbreitung der Pest deuteten viele Menschen damals als das Werk böser Mächte.

Institoris rief von der Ravensburger Kirchenkanzel dazu auf, ihm die Namen verdächtiger hexerischer Frauen zu nennen – mit Erfolg. Agnes Bader und Anna Mindelheimer wurden denunziert, gefangen genommen, tagelang gefoltert, bis sie ihre böse Komplizenschaft, den Pakt mit dem Teufel, die Heraufbeschwörung von Hagel und alles andere, was ihnen vorgeworfen wurde, gestanden. Vor den Toren der Stadt wurden die Frauen auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Ihr Schicksal zeichnet die Ravensburger Ausstellung anhand historischer Quellen nach. Die Frauen waren ledig, ohne Familienanbindung, die eine die Gehilfin eines Baders, die andere angeblich eine Beziehung zu einem verheirateten Mann unterhaltend. „Sie hatten keine Bürgerrechte“, sagt der Museumschef Andreas Schmauder. So waren sie der Wut eines entfesselten Stadtrats und eines fanatischen, frauenfeindlichen, sadistischen Mönchs ohne Schutz ausgeliefert.

Zwei ledige Frauen wurden zu Sündenböcken gemacht

Kramers Mission als Reise-Inquisitor endete übrigens bald. In Brixen stoppte ihn der Erzherzog von Tirol, der von den Folterungen entsetzt war. Der bloßgestellte Dominikaner zog sich zurück und schrieb ein Handbuch für Hexenjäger. 1486 erschien der „Malleus Maleficarum“, auch bekannt als „Hexenhammer“. Darin schilderte Institoris seine Erfolge in Ravensburg und vernebelte seine Schmach in Brixen. Der Hexenhammer wurde Zehntausende Male gedruckt, erlebte rund 30 Auflagen. Die zentrale Behauptung sei, schreibt der Historiker Wolfgang Behringer in einem Begleitbuch zur Ausstellung, dass Hexen die Schäden, die ihnen zur Last gelegt wurden, auch tatsächlich verübten. Zuvor waren seitens der Kirche lediglich der Abfall von Gott und der Irrglaube an Dämonen als verdammenswert betrachtet worden. Andreas Schmauder betont, das Buch sei eine Anleitung, wie Städte auch ohne Hilfe der Kirche Hexen aufspüren und töten konnten. Die Folgen waren furchtbar. In Ellwangen beispielsweise wurden in der Zeit von 1611 bis 1618 rund 400 Menschen verbrannt, vor allem Frauen. Erst Ende des 17. Jahrhunderts endete der Schrecken.

Der Hexenglaube lebt in Afrika noch fort

Die Ravensburger Ausstellung schlägt mit Verweisen auf heutige Hexenverfolgungen in Afrika eine Brücke in die Gegenwart. Es gibt aber noch einen weiteren Bezug: Dass allein der Verdacht der Teilnahme an einer Verschwörung bereits gleichbedeutend mit einem Urteil und einer Strafe ist, dass Menschen ins Gefängnis geworfen werden, die nicht einmal ihre Anklage kennen, gehört bis heute zum Kennzeichen machttrunkener und zugleich von Ängsten geleiteter Regierungschefs.

EINE STADT WIE EIN MUSEUM

Zeiten

Die Ausstellung „Hexenwahn 1484: Frauen auf dem Scheiterhaufen“ im Museum Humpis-Quartier Ravensburg dauert noch bis Sonntag, 3. Oktober. Geöffnet ist dienstags bis sonntags von 11 Uhr bis 18 Uhr, donnerstags bis 20 Uhr.

Orte

Der Rathaussaal, in dem die Hexenprozesse stattfanden, der Gefängnisturm, die Pfarrkirche Liebfrauen, in der zur Denunziation aufgerufen wurde – alles ist bis heute erhalten. Auch das gehört zum Reiz der Schau.