Foto: Kraufmann/Franziska Kraufmann

Von 1991 bis 2006 leitete der Journalist das Ressort Region Stuttgart der Stuttgarter Nachrichten und begleitete maßgeblich die Entstehung der politisch verfassten Region.

Günther Jungnickl war eine Instanz in vielerlei Hinsicht. Als politische Kräfte im Ballungsraum Stuttgart, angeführt vom Wirtschaftsführer Hans Peter Stihl, Mitte der 1990er-Jahre den Verband Region Stuttgart und die Regionalversammlung gründen wollten, war der damalige Ressortleiter Region bei den Stuttgarter Nachrichten einer von denen, die die Bewegung im Boot haben wollte. Also wurde er gefragt, was er davon hielte. Jungnickls Meinung, dass die besonderen Herausforderungen in einem wirtschaftsstarken Ballungsraum einer speziellen Problemlösungsebene bedürfe, war eine bedeutende in der Debatte in jener Zeit. 2024 wird die politisch verfasste Region Stuttgart 30 Jahre alt.

Die Regionalpolitik hatte viele namhafte Aushängeschilder damals und danach, und Günther Jungnickl war journalistischer Gesprächspartner für alle: vom Präsidenten des VdK Deutschland, Walter Hirrlinger, über die Verbandsvorsitzenden Hans Jochen Henke, Wolfgang Rückert, Eberhard Palmer, Helmut Xander und Jürgen Fritz bis hin zum Regionaldirektor Bernd Steinacher, mit dem Jungnickl einen so starken Draht hatte, dass er ihn als einzigen Funktionär oder Politiker zu seiner Verabschiedung im Dezember 2006 einlud. Der Journalist hielt stets eine gesunde Distanz zu den Protagonisten seiner Berichterstattung.

Als Vorgesetzter immer menschlich geblieben

Mehr noch als durch seine Professionalität bestach nik, wie er im Kollegenkreis anhand seines Kürzels genannt wurde, durch seine Qualitäten als Vorgesetzter und durch seine Menschlichkeit. Das Ressort Region war nicht das wichtigste bei den Stuttgarter Nachrichten, eingeklemmt zwischen den Abteilungen Lokales und Landesnachrichten, die zusammen das Profil der Regionalzeitung zu einem großen Teil ausmachten, erntete Jungnickl mit seiner im Vergleich mit der Stuttgarter Zeitung deutlich kleineren Truppe öfter mal auch ungerechtfertigte Kritik. Jungnickl gab sie gar nicht erst weiter und kam meistens mit kaum schlechterer Laune von der Konferenz zurück als er hingegangen war. Er vergaß keinen Geburtstag, ließ für jeden Ehrentag ein zuvor recherchiertes, passgenaues Geschenk besorgen und organisierte ein-, zweimal jährlich Ressortfeste. Die Region galt trotz ihres schweren Standes als Wohlfühlressort der Stuttgarter Nachrichten.

Was nicht hieß, dass Jungnickl nicht unangenehm werden konnte. Er besprach mit den Redakteurinnen und Redakteuren vorab, wie sie an ihr Thema herangehen wollten und lenkte ihren Blick stets auf den journalistisch gesehen aktuellsten und gewichtigsten Aspekt. Und er verfolgte auch während des Schreibens am Bildschirm den Fortschritt und schritt ein, wenn er es für richtig hielt. Die Artikel wurden meistens besser, wenn die Instanz Jungnickl mitmischte.

Bei der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ in Berührung mit dem Journalismus

Der Doyen der Regionaljournalisten im Großraum Stuttgart wurde er einmal genannt. Seine schlohweißen Haare und sein majestätischer Schnurrbart, den er beim Nachdenken immer glattstrich, passten in dieses Bild. Seine Büro verließ er nicht ohne Sakko.

Geboren wurde Günther Jungnickl 1943 im Sudetenland, flüchtete wenige Wochen vor dem Mauerbau 1961 aus der DDR mit seinen Eltern in den Westen. Er studierte Politik, Russisch und Sport an der Universität Frankfurt/Main. Durch einen Ferienjob kam er bei der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ mit der Zeitungswelt in Berührung, volontierte bei der „Heilbronner Stimme“ und kam schließlich über die „Bremer Nachrichten“und die „Ludwigsburger Kreiszeitung“ zu den Stuttgarter Nachrichten. Von 1991 bis 2006 leitete er das Ressort Region Stuttgart mit der Redaktionszentrale im Pressehaus und den vier Außenbüros in den Landkreisen. Der damalige Chefredakteur Jürgen Offenbach verabschiedete ihn als „Redakteur, auf den die StN-Redaktion stolz sein konnte – persönlich seriös, menschlich glaubwürdig und fachlich kompetent.“

Im Ruhestand junge Menschen in den Beruf begleitet

Im Ruhestand folgte Günther Jungnickl seiner sozialen Ader, die er zuvor auch im Sozialausschuss des Deutschen Journalisten-Verbands ausgelebt hatte, wo in Not geratene Journalisten Unterstützung erfuhren. Er engagierte sich stark beim Projekt Jobbrücke seiner Wahlheimat Freiberg am Neckar, begleitete dort unterprivilegierte Schulabgänger in den künftigen Beruf. Er unterstützte den von ihm und seiner Frau sehr respektierten 1. Tanzclub Ludwigsburg mit Pressearbeit, wenn dieser mal wieder eine Europa- oder Weltmeisterschaft über die Bühne bringen wollte. Der zweifache Vater kümmerte sich leidenschaftlich gerne um seine vier Enkel. Und er ließ auch nicht so ganz vom Schreiben, wenn er die Termine seiner schwer erkrankten Frau für die „Bietigheimer Zeitung“ übernahm, für die er dann sogar auch wieder aus der Regionalversammlung berichtete.

Am 24. Oktober ist Günther Jungnickl im Alter von 80 Jahren seiner früh verstorbenen Frau gefolgt.