Manchmal ist es sinnvoll, Fieber einfach auszuhalten, sagen Experten Foto: dpa-Zentralbild

Ein Ende der Grippewelle ist noch nicht in Sicht. Wen es erwischt, dem rät der Mediziner Martin Fleck, das Fieber auszuhalten,statt Medikamente zu nehmen.

Herr Fleck, sollte man froh sein, wenn man während einer Infektion Fieber bekommt?
Fieber ist per se positiv, denn es hilft, Infektionen zu bekämpfen und sie rasch loszuwerden. Deshalb ist es auch nicht sinnvoll, bei jedem Fieber die Temperatur zu senken.
Ist wissenschaftlich belegt, dass man Infektionen schneller loswird, wenn man Fieber hat?
Eine kontrollierte Studie mit dieser Fragestellung wäre beim Menschen nur schwer durchführbar, weil es viele Einflussfaktoren gibt. Aber die Evolutionsgeschichte zeigt, dass Fieber sinnvoll ist. Es hat sich über Millionen von Jahren gehalten – nicht nur bei Säugetieren, sondern schon bei Reptilien, Amphibien und wirbellosen Tieren. Die Fieberreaktion konnte sich nur durchsetzen, weil sie einen Überlebensvorteil bringt.
Wenn es keine Studien beim Menschen gibt, was macht Sie so sicher?
Fieber beschleunigt die Immunantwort, Infektionserreger werden rascher eliminiert. Im Tierversuch, wo man die Bedingungen viel besser kontrollieren kann als beim Menschen, konnte gezeigt werden, dass Infektionen länger dauern, wenn man das Fieber unterdrückt. Deshalb erscheint es nicht sinnvoll, bei ansonsten gesunden Menschen das Fieber zu senken, weil man dann Infektionen eher verschleppt.
Es gibt aber durchaus Ärzte, die Fieber mit Medikamenten senken.
Leider gibt es fast einen Automatismus: Wird bei einem Patienten erhöhte Temperatur festgestellt, gibt man ihm schnell Paracetamol oder ein anderes Medikament zum Fiebersenken. Im Krankenhaus ist das manchmal sinnvoll, denn häufig haben die Patienten zusätzlich ein schwaches Herz, Nieren- oder Lungenerkrankungen. Fieber belastet den Kreislauf. Das liegt daran, dass die Herzfrequenz und das Blutvolumen, das transportiert wird, erhöht wird. Außerdem geht viel Flüssigkeit verloren. Das ist ein Grund, die Temperatur medikamentös zu senken – allerdings sollte das auch in der Klinik von Fall zu Fall abgewogen werden.
Es kursieren viele Hausmittel gegen Fieber – was ist von Wadenwickeln zu halten?
Sie sind durchaus wirksam, um die Körpertemperatur etwas abzusenken. Allerdings ist ein Fiebersenken, gleichgültig ob durch Wadenwickel oder Medikamente, eigentlich nicht erforderlich – sofern der Patient ansonsten gesund ist. Aber wenn ich mich sehr elend fühle und unbedingt das Fieber senken will, kann ich es mit Hilfe der Wadenwickel mit weniger Nebenwirkungen tun als wenn ich die Fiebersenkung mit Medikamenten herbeiführe.
Aber wenn ich beispielsweise mit 39,8 Celsius Fieber und einem Atemwegsinfekt im Bett liege – sollte ich dann das Fieber senken oder es aushalten?
Auch dann würde ich empfehlen, die Fieberepisode auszuhalten. Denn es ist eine physiologische Reaktion des Körpers, um die Krankheitserreger rascher beseitigen zu können. Wenn ein Patient allerdings dabei leidet, beispielsweise unter starken Kopfschmerzen, dann kann er die Temperatur durchaus auch mal mit Hilfe von Medikamenten senken.
Warum fühlt man sich bei Fieber schlapp?
Das liegt daran, dass der Körper die Energiereserven umverteilt und sie vor allem ins Immunsystem steckt. Die Energie, die der Muskulatur zur Verfügung steht, nimmt ab – und auch diejenige für das Gehirn. Deshalb nimmt auch unsere geistige Fähigkeit während des Fiebers ab. Oft kann man noch nicht einmal ein Buch lesen.
Aber mit Fieber fühlt man sich noch weitaus abgeschlagener, als wenn man lediglich etwas zu wenig Energie hat?
Das Immunsystem fährt hoch. Dadurch werden sehr viele Botenstoffe ausgeschüttet, die die Entzündungszellen aktivieren – damit diese wiederum ihre Arbeit tun können. Diese Moleküle bewirken auch, dass man sich schlapp und müde fühlt. Das ist ein Signal, dass man sich schonen sollte.
Viele Arbeitnehmer nehmen Medikamente und gehen trotzdem zur Arbeit.
Ich sehe, dass Patienten Angst um ihren Arbeitsplatz haben und sagen, sie könnten sich Fehlzeiten nicht erlauben. Das ist aus medizinischer Sicht falsch. Auch das Fieber zu senken und dann arbeiten zu gehen ist nicht sinnvoll. Bestimmt haben auch die meisten Arbeitgeber Verständnis, wenn ein Mitarbeiter mit Fieber nicht zur Arbeit kommt – vor allem sollten sie froh sein, weil dann keine Kollegen angesteckt werden können.
Ab welcher Temperatur hat man Fieber?
Es gibt keine einheitliche Definition. Allerdings spricht man bei einer eigentlich gesunden Person ab einer Temperatur von 37,7 Grad Celsius am Nachmittag – gemessen im Mund oder rektal – von febriler Temperatur. Die Temperatur, die man unter der Achsel misst, kann bis zu 1,5 Grad Celsius niedriger ausfallen.
Wie lang sollte man messen?
Mit einem alten Quecksilberthermometer braucht man länger als mit einem modernen Digitalthermometer. Die neuen Geräte sind empfehlenswert, weil sie sehr genau und einfach zu bedienen sind. Sie piepsen, wenn die Messung beendet ist.
Ab wann sollte man bei Fieber einen Arzt aufsuchen?
Wenn das Fieber länger als 48 Stunden anhält und Begleitsymptome wie Kopfschmerzen, Durchfall, Schmerzen beim Wasserlassen oder eitriger Auswurf auftreten, sollte man zum Arzt gehen. Diese Symptome können auf eine bakterielle Infektion hinweisen. In jenen Fällen ist es sinnvoll, Antibiotika einzunehmen. Die meisten Infektionen, bei denen Fieber auftritt, sind allerdings Virusinfektionen, gegen die es keine Medikamente gibt. Die braucht der Patient meistens auch nicht – der Körper wird mit diesen Virusinfekten in der Regel rasch alleine fertig.