Jedes Jahr haben in den vergangenen vier Jahren durchschnittlich 2350 Unternehmen ihren Standort gewechselt. Am umzugsfreudigsten zeigt sich die Baubranche. Foto: dpa

In der Landeshauptstadt ist das Missverhältnis zwischen Zuzügen und Wegzügen besonders. Nach Meinung der Industrie- und Handelskammer Region Stuttgart fragen Unternehmen, ob sie in der Region noch eine Perspektive haben.

Stuttgart - Stuttgart wird für Unternehmen immer weniger interessant. Nach der jüngsten Untersuchung der Industrie- und Handelskammer (IHK) Region Stuttgart haben in den vergangenen vier Jahren 198 Unternehmen mehr die Landeshauptstadt verlassen, als von auswärts neu hinzugekommen sind. Der Abwärtstrend wird damit nochmals gravierender. Zwischen 2009 und 2012 lag der Negativsaldo bei lediglich 115 Unternehmen. Die meisten Firmen, die Stuttgart in den vergangenen vier Jahren verlassen haben, waren in den Kreis Esslingen und den Rems-Murr-Kreis gezogen.

Wegzug in andere Bundesländer

Aber auch beim Wegzug in andere Regionen Baden-Württembergs gab es mit 33 Unternehmen nach zwölf Firmen in der Berichtsperiode zuvor einen verschärften Abwärtstrend. Noch deutlicher fällt die gesunkene Attraktivität der Landeshauptstadt bei Wegzug in andere Bundesländer ins Gewicht: Der Negativsaldo lag bei 43 Unternehmen; zwischen 2009 und 2012 war der Saldo noch positiv – mit ebenfalls 43 Unternehmen.

Der Rems-Murr-Kreis und der Kreis Esslingen zogen dagegen mehr Unternehmen aus anderen Bundesländern an, als dorthin abgewandert waren. Einen deutlichen Negativsaldo wies dagegen der Kreis Ludwigsburg auf, die Kreise Böblingen und Esslingen einen leicht im Negativen. Gegenüber anderen Regionen Baden-Württembergs verzeichneten dagegen alle Landkreise außer dem Stadtkreis Stuttgart und dem Rems-Murr-Kreis einen positiven Saldo. Dorthin kamen also mehr Unternehmen, als wegzogen. In der Region Stuttgart betrug der Negativsaldo insgesamt 39.

Andreas Richter: Dauerfeuer gegen die Wirtschaft

Andreas Richter, der Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer der Region Stuttgart wählte angesichts des Minussaldos scharfe Worte: „Ich kann mir nicht vorstellen, dass das aktuelle Dauerfeuer gegen Automobilhersteller, Verkehr und Wirtschaft an den Unternehmen so einfach vorbeigeht“, ließ er in einer Erklärung der Kammer mitteilen. Gerade Unternehmen, „deren Horizont über den heutigen Tag hinausgeht, werden mehr und mehr prüfen, ob sie in der Region noch eine Perspektive haben“, erklärte Richter.

Die Standortfaktoren wie Infrastruktur, aber auch die Versorgung mit Gewerbeflächen und bezahlbarem Wohnraum müsse dringend verbessert werden, um dem Trend „raus aus der Stadt“ entgegenzuwirken. Vor dem Hintergrund unzureichender Rahmenbedingungen werde es auch immer schwieriger, neue Unternehmen in die Region zu locken. Bernd Engelhardt, stellvertretender Hauptgeschäftsführer der IHK Region Stuttgart, wies darauf hin, dass manche Kommunen in den Bebauungsplänen ausgewiesene Gewerbeflächen nicht auf den Markt bringen würden. „Wären die Standortbedingungen für alle aus der Region fortgezogenen Unternehmen rechtzeitig verbessert worden, hätten viele Fortzüge möglicherweise vermieden werden können“, heißt es in der Erklärung von Richter.

Der Handel agiert zunehmend national

Jedes Jahr haben in den vergangenen vier Jahren durchschnittlich 2350 Unternehmen ihren Standort gewechselt. Am umzugsfreudigsten zeigt sich die Baubranche – 436 von 1000 Firmen verlagerten den Standort. Allerdings blieben sie dabei zumeist ihren bisherigen Gemeinden treu: Etwas mehr als 50 Prozent zogen lediglich auf ein anderes Areal. Bei der Industrie blieben dagegen nur 38 Prozent in der bisherigen Kommune, mehr als ein Viertel zog in eine Gemeinde eines anderen Landkreis der Region. Jedes fünfte Industrieunternehmen machte sich in einen anderen Kreis auf, etwa sieben Prozent in eine andere Region Baden-Württembergs und ebenfalls rund sieben Prozent in ein anderes Bundesland. Beim Handel blieben 44 Prozent der Umzügler in derselben Gemeinde, 21 Prozent gingen in eine andere Gemeinde, blieben aber im selben Landkreis. Dagegen verließen 18 Prozent auch ihren Landkreis. Mehr als sechs Prozent wechselten in eine andere Region Baden-Württembergs, knapp zehn Prozent aber auch in andere Länder. Der Trend zur Verlagerung des Firmensitzes war dabei im Großhandel ausgeprägter als im Einzelhandel.

Für den Wegzug von Einzelhandelsunternehmen aus der Region machte Hermann Hutter, Präsident des Handelsverbandes Baden-Württemberg, nicht zuletzt das im Umfeld von Daimler und Porsche relativ hohe Lohnniveau verantwortlich. Der Großhandel dagegen agiere auf nationaler Ebene, „und Stuttgart ist nun einmal nicht der Mittelpunkt Deutschlands“, erklärte Hutter weiter.

Insgesamt überwogen nach der IHK-Studie bei der Industrie die Zuzüge leicht, dies konnte aber den Weggang von Unternehmen in den anderen Wirtschaftsbereichen nicht ausgleichen.