Der türkische Präsident Erdogan Mitte August bei einer Rede in Ankara Foto: AFP

Der türkische Präsident Erdogan hat die Deutschtürken aufgefordert, bei der Bundestagswahl CDU, SPD und Grüne abzustrafen. Die Parteien seien „Feinde der Türkei“ und ihr Boykott eine „Ehrensache“. Die Türkische Gemeinde in Deutschland reagiert mit scharfer Kritik.

Ankara - Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan mischt sich mit einer Wahlempfehlung an die Deutschtürken in die Bundestagswahl ein. Die rund eine Million türkischstämmiger Wähler in Deutschland sollten weder für die CDU noch für die SPD oder die Grünen votieren, sagte Erdogan am Freitag. Diese Parteien seien „Feinde der Türkei“. Es sei „eine Ehrensache“ für Deutschtürken, diese Parteien abzustrafen. Der Bundesvorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Gökay Sofouglu kritisierte die Aufforderung Erdogans scharf.

Mit seiner Äußerung facht Erdogan den seit Monaten anhaltenden Streit zwischen Ankara und Berlin weiter an. Das deutsch-türkische Verhältnis ist unter anderem durch die Inhaftierung von Bundesbürgern in der Türkei belastet; zuletzt wurde eine deutsch-türkische Anwältin in der Türkei in Polizeigewahrsam genommen, womit die Zahl der inhaftierten Deutschen auf zehn gestiegen ist. Berlin vermutet, dass Ankara die Festgenommenen als Geiseln benutzen will, um die Bundesregierung zur Auslieferung von mutmaßlichen Anhängern des Erdogan-Erzfeindes Fethullah Gülen zu bewegen.

„Die nötige Lektion erteilen“

Die Türkei kritisiert, Deutschland gewähre ranghohen Gülen-Anhängern seit dem Putschversuch gegen Erdogan im vergangenen Jahr Zuflucht. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte in den vergangenen Tagen neuen Ärger auf sich gezogen, als sie eine Erweiterung der Zollunion zwischen der EU und der Türkei wegen der deutschen Inhaftierten ablehnte. Die Bundesregierung hat zudem ihre Reisewarnungen für die Türkei verschärft.

Erdogan sagte nach dem Freitagsgebet in Istanbul, Deutschland allein sei für die Spannungen im bilateralen Verhältnis verantwortlich. CDU und SPD gingen mit türkeifeindlichen Positionen auf Stimmenfang, kritisierte der Staatschef laut der Nachrichtenagentur Anadolu. „Ich sage all unseren Landsleuten in Deutschland: Macht keinen Fehler, unterstützt die nicht. Ob es jetzt die Christdemokraten, die SPD oder die Grünen sind – das sind alles Feinde der Türkei.“ Die türkischstämmigen Wähler sollten diese Parteien bei der Bundestagswahl „die nötige Lektion erteilen“.

„Wir brauchen keine Belehrung in Sachen Demokratie“

Die Türkische Gemeinde in Deutschland forderte die wahlberechtigten Deutsch-Türken dagegen auf, jetzt erst recht an der Bundestagswahl teilzunehmen. „Wir brauchen keine Belehrungen in Sachen Demokratie“, sagte der Bundesvorsitzende der Türkischen Gemeinde, Gökay Sofuoglu, am Freitag. „Die paternalistische Haltung von Erdogan, über die Türken in Deutschland verfügen zu wollen, muss aufhören.“ Die Äußerungen Erdogans seien ein Ansporn, „jetzt erst recht“ zu wählen.

Mit seinem Appell könnte Erdogan allerdings ungewollt der Kanzlerin helfen. Denn nach Untersuchungen wählen die meisten türkischstämmigen Bundesbürger mehrheitlich die SPD; die Union liegt bei dieser Wählergruppe ohnehin nur bei einer Zustimmungsrate von unter zehn Prozent. Angesichts von mehr als 61 Millionen Wahlberechtigen in der Bundesrepublik fallen die rund eine Million türkischstämmigen Wähler nicht stark ins Gewicht. Allerdings könnten ihre Stimmen bei einem knappen Wahlausgang von Bedeutung sein.

Deutsch-türkische Juristin festgenommen

Weitere Spannungen im Verhältnis zwischen den beiden Ländern sind zu erwarten. Am kommenden Dienstag will der deutsche Botschafter in Ankara, Martin Erdmann, den deutsch-türkischen Journalisten Deniz Yücel erstmals im Gefängnis besuchen. Am Mittwoch wird Erdmann zudem bei dem ebenfalls inhaftierten deutschen Menschenrechtler Peter Steudtner erwartet. Am Dienstag steht außerdem ein Haftprüfungstermin für die seit April in Haft sitzende türkischstämmige deutsche Journalistin und Übersetzerin Mesale Tolu an, der Terrorpropaganda vorgeworfen wird.

Laut dem Auswärtigen Amt ist in den vergangenen Tagen auch eine deutsch-türkische Juristin wegen politischer Vorwürfe in Polizeihaft genommen worden.